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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

6.3.6   Nordische Kombination

Während der erste Teil der Nordischen Kombination, bestehend aus 18-km Langlauf und Sprunglauf, bereits am 2. Februar bestritten wurde, standen die Skisprungwettbewerbe erst am letzten Wettkampftag, dem 4. Februar, auf dem Programm. Neben dem Skispringen der Nordischen Kombination wurde dem skisportinteressierten Zuschauer mit dem Sprunglauf noch ein weiterer Wettbewerb geboten (vgl. hierzu Punkt 6.3.7).

"Ein klarer Tag blaute über dem tiefeingeschnittenen Tal, als alles was Beine hatte, gegen Mittag zur Sprungschanze oberhalb Les Bossons hinaufpilgerte, deren Hintergrund in einzigartiger Wildheit der Mont Blanc und seine kühnzackigen Trabanten bilden. Die Sprunganlage präsentierte sich ausgezeichnet. Sie ist eine der besten Schanzen Europas und macht ihrem Erbauer alle Ehre."

WAGNER, J./EICHENBERGER,G.: Die Olympischen Spiele Paris 1924 veranstaltet unter dem Patronat des Internationalen Olympischen Komitees durch das Französische Olympische Komitee. Erinnerungswerk unter dem Patronat des Schweizerischen Olympischen Komitees. Zürich/München 1925, S. 130.

"Le Championnat de saut a été remarquable et il a donné tous les espoirs qu'on en attendait. Les concurrents, partant d'une trentaine de mètres du tremplin, tournant le dos au Mont-Blanc, avaient devant eux, un décor magnifique et une piste unique dans son genre."

LES JEUX OLYMPIQUES. Le tournoi olympique de Chamonix. In: L'Auto 05.02.1924, S. 3.

Jeder Athlet hatte zwei Versuche zu absolvieren, wobei für jeden Sprung jeweils eine Note für den Stil und eine für die Weiten gegeben wurde. Für den weitesten Sprung gab es 20 Punkte. Stil- und Wertungsnoten wurden addiert und danach durch zwei dividiert.
In ähnlicher Weise berechnete man die Punkte für den 18-km Langlauf. Hier erhielt der schnellste Läufer ebenfalls 20 Punkte, pro Minute Rückstand gab es Abzüge von einem halben Punkt. Um den Gesamtsieger zu ermitteln, wurden die beiden Teilergebnisse addiert und anschließend durch zwei dividiert.
Wie bereits bei den anderen Skisportwettbewerben - den Militärpatrouillenlauf ausgenommen - konnten sich auch hier die Norweger deutlich hervorheben. Erklärten die Amerikaner im Skispringen eher die Weite und den Rekord zum auserkorenen Ziel, so dominierten die Norweger durch ihren Stil.
Die folgenden drei Tabellen zeigen die Ergebnisse der beiden Einzelwettbewerbe der Nordischen Kombination (Tabelle 22 und 23) und auch das Endergebnis der Gesamtwertung (Tabelle 24).

Tab. 23:   Sieger 18-km-Langlauf
1.Haug, T.NORNote 20,00
2.Gröttumsbraaten, J.NORNote 19,38
3.Stroemstad, T.NORNote 18,75
 
Tab. 24:   Sieger Sprunglauf
1.Haug, T.NORNote 17,81
2.Stroemstad, T.NORNote 17,69
3.Gröttumsbraaten, J.NORNote 16,63
 
Tab. 25:   Sieger Nordische Kombination
1.Haug, T.NORNote 18,91
2.Stroemstad, T.NORNote 18,22
3.Gröttumsbraaten, J.NORNote 17,85

6.3.7   Skispringen

"La journée des sauts, le premier grand concours organisé en France, attira près de 15 000 personnes au tremplin du Mont."

FRISON-ROCHE, R.: Chamonix 1924. In: Olympic Review (1982) 182, S. 734.

"Den Höhepunkt der ersten olympischen Winterspiele bildete zweifellos die reine Sprungkonkurrenz, die die besten Vertreter aller wintersporttreibenden Nationen an den Start brachte. Was da dem staunenden Auge in heißem Wettkampfe gezeigt wurde, kann schlechterdings nicht mehr überboten werden. Und zwar waren es auch hier wieder die Norweger, die einen überwältigenden Eindruck hinterließen."

WAGNER, J./EICHENBERGER,G.: Die Olympischen Spiele Paris 1924 veranstaltet unter dem Patronat des Internationalen Olympischen Komitees durch das Französische Olympische Komitee. Erinnerungswerk unter dem Patronat des Schweizerischen Olympischen Komitees. Zürich/München 1925, S. 130.

"Le meilleur sauteur, celui qui saute le plus loin, tout en ne faisant aucune chute, n'est pas premier. L'Américain Haugen, qui a sauté 49 mètres et 50 mètres dans ce panorama idéal, qui a donc réalisé une moyenne si l'on veut, de 49 m. 50, n'est pas premier. (...) Le record c'est de la blague, nous a dit un de ses membres: le style seul compte pour nous."

LES SPORTS DE NEIGE ET DE GLACE. La journée des sauteurs a clôturé hier le Tournoi Olympique de Chamonix. In: L'Auto 05.02.1924, S. 1.

Tab. 26:   Sieger Spezialsprunglauf
1.Thams, T.NORNote 18,96
2.Bonna, N.NORNote 18,68
3.Haug, T.NORNote 18,00
4.Haugen, A.USANote 17,91
Wie schon beim Sprunglauf der Nordischen Kombination wurde auch bei diesem Wettbewerb neben der Weite der Stil zur Bewertung des Sprunges herangezogen. Welche Auswirkungen eine derartige Leistungsbewertung haben kann, mußte der Amerikaner Anders Haugen erfahren. So wurde dieser trotz des weitesten Sprunges in der Konkurrenz nicht zum Sieger gekürt. Er mußte den Norwegern die ersten drei Plätze überlassen und wurde somit nur vierter.

Fünfzig Jahre danach, im Jahre 1974, machte Thoralf Strömstad, Zweitplazierter im 50-km Langlauf und in der Nordischen Kombination, die Entdeckung, daß man sich im Spezialspringen verrechnete hatte. Die daraufhin eingeleiteten Untersuchungen ergaben, daß der drittplazierte Thorleif Haug, der offiziell 18 Punkte hatte, durch einen Rechenfehler des Kampfgerichts in Chamonix bevorteilt worden war. Da Haug indes schon mehrere Jahre verstorben war, übergab seine Tochter Anne-Marie Magnusson, nach Rücksprache mit dem IOC, am 12. September 1974 am Holmenkollen dem inzwischen 86-jährigen Anders Haugen die ihm zustehende Bronzemedaille.

Im Anschluß an den offiziellen Skisprungwettbewerb gestattete die Jury ein Schauspringen, an dem die Norweger Thams, Stroemstad, Gröttumsbraaten und Bonna teilnahmen. Während in den Sprungwettbewerben der Nordischen Kombination und im Spezialspringen der kürzeste Anlauf gewählt worden war, entschied man sich, für das Schauspringen einen 25 Meter längeren Anlauf zu nehmen, was nachvollziehbare Auswirkungen auf die Sprungweiten hatte. Thams erzielte mit der Weite von 58,5 m einen inoffiziellen Weltrekord. Dieser Weite zollten die Zuschauer viel Anerkennung, da zu jener Zeit, selbst am Holmenkollen, die Sprünge kaum über die 50-m-Marke hinausgingen.

"Depuis le commencement du meeting, on attendait impatiemment un record du monde. En patinage de vitesse, il ne vint pas plus que dans la course du ski, car vraiment-là, il est difficile d'attribuer un record du monde à des épreuves qui se terminent en points. Il est enfin venu, au saut de ski, bien qu'il repose sur une base bien fragile."

LES SPORTS DE NEIGE ET DE GLACE. La journée des sauteurs a clôturé hier le Tournoi Olympique de Chamonix. In: L'Auto 05.02.1924, S. 1.

Abb. 24:   Skisprungwettbewerb
Skisprungwettbewerb
Quelle: http://www.aafla.com/OlympicInformationCenter/EarlyWinter

Tab. 27:   Übersicht über die Besucherzahlen der Skisportwettbewerbe

VeranstaltungstagAnzahl der Zuschauer
29. Januar 1924Militärpatrouille1.307
30. Januar 192450 km Langlauf1.258
2. Februar 192418 km Langlauf   920
4. Februar 1924Skispringen   995
Quelle: In Anlehung an: COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 665.

 
6.3.8   Herausragender Athlet - Thorleif Haug

"Der überragende Athlet der 1. Olympischen Winterspiele war der Norweger Thorleif Haug. Er gewann den 18-km-Lauf, den 50-km-Lauf, die Nordische Kombination und wurde im Spezialsprunglauf 3. Er hatte es in den Entscheidungen zwar nur mit seinen Landsleuten zu tun, aber unter diesen nahm er dennoch eine Sonderstellung ein. Bei keinem seiner Siege war er ernsthaft in Gefahr. Im 18-km-Langlauf trennten ihn über eine Minute von dem Zweiten, Johan Gröttumsbraaten, der selbst zu einem der ganz Großen der Olympischen Winterspiele wurde. Im 50-km-Langlauf hatte er den nächsten Norweger Strömstadt mit 2 Minuten distanziert. Auch in der Nordischen Kombination siegte er mit großem Punktvorsprung, da er sowohl im Lauf als auch im Springen der Beste war. Thorleif Haug ist einer der ganz wenigen Sportler neben Paovo Nurmi, dem noch zu Lebzeiten ein Denkmal errichtet wurde. Es steht in seiner Heimatstadt Kongsberg."

UMMINGER, W.: Die Olympischen Spiele der Neuzeit. Eine illustrierte Kulturgeschichte der Olympischen Spiele von Athen bis München. Hrsg. von der Deutschen Olympischen Gesellschaft. Dortmund 1969, S. 145.

Abb. 25:   Thorleif Haug
Thorleif Haug
Quelle: http://www.aafla.com/OlympicInformationCenter/ EarlyWinter

Im Erscheinungsjahr des Buches, aus dem das obige Zitat stammt, war der Fehler bei der Errechnung der Medaillengewinner des Spezialspringens noch nicht erkannt. Trotzdem drückt dieses Zitat in eindrucksvoller Art und Weise die hervorragenden Leistungen und die Dominanz des Norwegers Haug im Rahmen der ersten Internationalen Wintersportwoche aus. Der "König auf Ski" kann unumwunden als der Athlet der Spiele von 1924 in Chamonix bezeichnet werden.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003