netSCHOOL SPORT-Geschichte Wintersport

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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

2.2   Situation des Wintersports zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Wintersport im heutigen Verständnis vereint solche Sportarten, die entweder auf Schnee oder auf Eis ausgeübt werden. Die meisten Wintersportarten finden im Freien statt und werden in der Regel im Winter ausgeübt. Betrachtet man hingegen den Begriff Wintersport zu Beginn des 20. Jahrhunderts, so wird deutlich, daß zu jener Zeit sehr unterschiedliche Auffassungen hinsichtlich der Begriffsdefinition existierten. Während die Autoren der Encyclopédie sportive, Moreau und Voulquin, 1905 lediglich den Eislauf, den Skilauf und das Tobaganning (Schlittenfahren) zum Wintersport zählen, unterscheidet die Revue Olympique 1908 zwischen "sports de neige" und "sports de glace".

Vgl. hierzu: COUBERTIN, P. de: Les sports de neige. In: Revue Olympique (Januar 1908) S. 9.

Ein wiederum anderes Wintersportverständnis legte das Wintersportprogramm der Olympischen Spiele 1908 in London dar. Hier traten neben Eiskunstlaufen auch Rugby, Fußball, Lacrosse, Boxen und Hockey in Erscheinung.
Die hier aufgeführten Beispiele wie auch das nachstehende Zitat machen deutlich, daß der Begriff Wintersport sehr weit gefaßt ist.

"L'expression 'sports d'hiver' n'est ni figée, ni monolithique."

ARNAUD, P./TERRET, T.: Le rêve blanc. Olympisme et Sports d'Hiver en France.
Chamonix 1924, Grenoble 1968. Bordeaux 1993, S. 27.

Prinzipiell ist bei dem Begriff Wintersport zwischen der sportlich-wettkampfmäßigen, sowie der Ausübung zur reinen Fortbewegung zu unterscheiden.

 
2.3   "Olympische" Wintersportdisziplinen und ihre Entstehungsgeschichte

2.3.1   Eislauf

Durch archäologische Funde kann das Eislaufen auf einfachen Kufen aus Knochen bis in die Zeit 2000 v. Chr. belegt werden. Ursprünglich war Eislaufen als Fortbewegungsmittel auf gefrorenen Bächen und Flüssen gedacht.

"Dans certains pays, se déplacer sur glace était une nécessité. L'utilisation des canaux gelés était depuis des siècles un moyen de communication aisé, rendu possible par l'intervention du patin. Cependant, la date exacte de cette invention demeure inconnue."

GEORGUIEV, N.: Analyse du programme des Jeux Olympiques d'hiver 1924-1998. Hrsg. vom Comité International Olympique. Lausanne 1995, S. 59.

Während Holland durch die Erfindung des ersten Schlittschuhs mit Metallkufen Mitte des 13. Jahrhunderts als "Vaterland des Eislaufens" bekannt wurde, entwickelte sich das Eiskunstlaufen auf englischem Boden erst später. Die Entwicklung von gebogenen Stahlkufen in der Mitte des 19. Jahrhunderts trug wesentlich zur Entwicklung des Eiskunstlaufens bei und zog eine Reihe von Vereinsgründungen in ganz Europa nach sich.
1892 lud der holländische Eislaufverband zu einem Kongreß ein, der für all die Vereine gedacht war, die sich für internationale Wettkämpfe im Eislaufen interessierten. Auf diesem Kongreß, der vom 23. bis 25. Juli 1892 in Scheweningen stattfand, wurde der Internationale Eislaufverband (ISU) gegründet. Die International Skating Union gilt als die älteste Wintersportföderation.
Daß der Eiskunstlauf später auch die älteste Disziplin der Wintersportarten im Rahmen der Olympischen Spiele sein sollte, war zu jenem Moment noch nicht abzusehen.
Vor der Gründung der ISU wurden schon 1889 die ersten Weltmeister-schaften im Eisschnellauf, 1891 die ersten Europameisterschaften im Eisschnellauf und 1892 die ersten Europameisterschaften im Eiskunstlauf durchgeführt.

"Le patinage peut être considéré comme le sport "doyen" parmi les sports d'hiver, car avant même l'institution du cycle indépendant des J. O. d'hiver le patinage artistique a été le premier sport d'hiver à être introduit au programme des Jeux de l'Olympiade."

GEORGUIEV, N.: Analyse du programme des Jeux Olympiques d'hiver 1924-1998. Hrsg. vom Comité International Olympique. Lausanne 1995, S. 62.

Allein der Eiskunstlauf sollte vor den I. Olympischen Winterspielen 1924 in Chamonix die Chance haben, im Rahmen der Olympischen Spiele 1908 und 1920 ein olympisches Debüt zu geben. Neben dem Eiskunstlauf war es nur noch dem Eishockey vorbehalten, im Programm der Olympischen Spiele von Antwerpen 1920 enthalten zu sein.

2.3.2   Eishockey

Den Begriff Hockey kann man aus dem französischen Wort "hocquet", was soviel wie Krummstock oder gebogener Stock bedeuten mag, herleiten, aber die Wurzeln des Eishockeysports sind doch recht ungewiß. Gab es in der Zeit vor 1850 die Spielformen Bandy oder Hurling in Europa, so hatten die Indianer Nordamerikas mehr oder weniger ähnliche Formen.

Vgl. ECKERT, H.: Eishockey Weltgeschichte. München 1985, S. 10 f..

Einflüsse auf das Hockeyspiel mögen auch die französischen Soldaten durch ihr Spiel "Choule à la Crosse" ausgeübt haben. Bei diesem Spiel wurde der Ball mit dem Krummstock, aus dem sich dann der spätere Eishockeyschläger entwickelt hat, auf dem Eis oder Schnee bewegt. Die Spieler hatten hier noch keine Schlittschuhe.
Das Eishockey in seiner heutigen Form wurde vor allem im Kanada des 19. Jahrhunderts entwickelt. So fand auch das erste Eishockeyspiel mit einem Puck am 3. März 1875 in Montréal statt.

Vgl. GEORGUIEV, N.: Analyse du programme des Jeux Olympiques d'hiver 1924-1998.
Hrsg. vom Comité International Olympique. Lausanne 1995, S. 75.

 
Diese Demonstrationsveranstaltung zog allein in Montreal fünf Vereinsgründungen nach sich.
Das Spiel verbreitete sich über die USA nach Großbritannien und von dort auf den europäischen Kontinent. Gut 16 Jahre nach der Gründung der ISU ging aus der Gründungsversammlung vom 15. und 16. März 1908 in Paris der Eishockeyweltverband hervor, benannt als die "Ligue Internationale de Hockey sur Glace" (L.I.H.G.).
Fanden auf die Initiative von Louis Magnus, dem ersten Präsidenten der L.I.H.G., hin schon ab 1910 die ersten Europameisterschaften statt, wurde erst durch die I. Olympischen Winterspiele in Chamonix die Wertung auf der Ebene von Weltmeisterschaften ermöglicht.

2.3.3   Skilauf

Die Geschichte des Skilaufs währt nun schon an die 5.000 Jahre. In Schweden fanden Geologen Skifragmente, die älter als 4.000 Jahre sind. Selbst wenn der Ski als Fortbewegungsmittel schon sehr alt ist, existieren aber bezüglich der Durchführung erster sportlicher Skiwettkämpfe unterschiedliche Versionen.
Während nach Erb die ersten Wettkämpfe von Norwegern im Jahre 1718 durchgeführt wurden, datiert Gueorguiev die ersten Skiwettkämpfe nicht vor 1850.
Gesichert erscheint hingegen die Überlieferung des ersten offiziellen Wettkampfes, der am Holmenkollen im heutigen Oslo/Norwegen stattfand:

"En 1883 a lieu la première course de Holmenkollen, dans les environs de Christiana (aujourd'hui Oslo; der Verfasser)."

ERB, F.: L'évolution du ski nordique des premiers Jeux Olympiques d'Hiver à nos jours. In: Lang, S. (Hrsg.): Le Ski et les sports d'hiver. Encyclopédie Universelle des sports. Bd. 1. Monaco 1960, S. 263.

Während die ersten Skiversuche in den Alpen bereits in den siebziger und achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts unternommen wurden, so kam jedoch erst durch das Bekanntwerden des Buches "Auf Schneeschuhen durch Grönland" von Fridtjof Nansen im Jahre 1891 der Stein ins Rollen.
In diesem Buch schildert Nansen seine Durchquerung Grönlands von der Ost- zur Westküste mit Hilfe von Schneeschuhen und Schlittenhunden im Jahre 1888. In einem eigenen Kapitel "Das Schneeschuhlaufen, die Entwicklung und die Geschichte dieser Kunst" geht er auf den Schneeschuhlauf und seine Geschichte ein. Hier trug er alle Informationen zusammen, die er zu jener Zeit über diese Kunst wußte, und

"[...] verstand es, durch mitreißende Beredsamkeit Anhänger für den Skilauf zu gewinnen. Kaum ein anderes Buch hat einer Sportart derartige Impulse gegeben. Nansen erzählt viel über die Geschichte des Skilaufs und preist dessen Schönheit in bewegten Worten."

UMMINGER, W. (Hrsg.): Die Chronik des Sports. Harenberg 1990, S. 163.

Durch den Einfluß dieses Buches und die ersten norwegischen Skier, die in den Schwarzwald gelangten, nahm die Entwicklung in Deutschland einen rasanten Verlauf.

"Inspired by Nansen's book (1891), the first "Wiener Skiclub", the SC Todtnau (Black forest) and the SC Munchen were founded in the same year."

Vgl. UEBERHORST, H.: Fridtjof Nansen and the development of skiing in Central Europe. In: Goksøyr, M./Lippe, G. von der/Mo, K. (Hrsg.): Winter Games, warm traditions. Selected papers from the 2. International ISHPES seminar, Lillehammer 1994. ISHPES-Studies Bd. 3. Sankt Augustin 1996, S. 269-274.

Weniger Einfluß schien Nansens Werk hingegen auf die Ski-Urväter der Schweiz gehabt zu haben. Die Wahrscheinlichkeit, daß die Schweizer Skipioniere Nansens Buch gelesen haben, scheint sehr gering.

Vgl. EICHENBERGER, L.: Fridtjof Nansen - the organisator of Skiing in Switzerland? In: Goksøyr, M./Lippe, G. von der/Mo, K. (Hrsg.): Winter Games, warm traditions. Selected papers from the 2. International ISHPES seminar, Lillehammer 1994. ISHPES-Studies Bd. 3. Sankt Augustin 1996, S. 275-283.

 
 
Während so die Faszination Skilauf schon Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland und der Schweiz Einzug hielt, sei es nun Nansens Verdienst oder nicht, erschien der Ski in Frankreich erst offiziell im Winter 1900, nachdem die "Armée alpine" sich dieses Gerätes bediente. Das Jahr 1904 wird nicht nur mit der Errichtung der "École Normale de Ski" in Briançon verbunden, sondern markiert auch den Beginn der Fortbewegung auf Ski in Chamonix.
Vgl. ERB, F.: L'évolution du ski nordique des premiers Jeux Olympiques d'Hiver à nos jours. In: Lang, S. (Hrsg.): Le Ski et les sports d'hiver. Encyclopédie Universelle des sports. Bd. 1. Monaco 1960, S. 263.

 

"Pourtant le "lancement" des sports d'hiver à Chamonix ne date que de 1907 et a largement bénéficié de sa réputation de grande station estivale. Si Briançon et le col du Montgenèvre ont été les sites pionniers du ski, leur isolement géographique et leur médiocre équipement touristique les condamnaient à des prétentions modestes."

ARNAUD, P./TERRET, T.: Le rêve blanc. Olympisme et Sports d'Hiver en France: Chamonix 1924, Grenoble 1964. Bordeaux 1993, S. 31.

Im Jahre 1907 sollte es auch wiederum das Militär sein, das die Entwicklung des Wintersports durch die Organisation der ersten internationalen Wintersportwoche in Briançon vorantrieb:

"L'effort conjugué des militaires et des "Alpinistes" devait aboutir à l'organisation du Premier concours international de sports d'hiver du Montgenèvre, du 10 au 12 février 1907, devant une foule évaluée à plus de 3000 personnes, alors qu'à l'époque Briançon ne compte guère que 6000 habitants. Pour la première fois dans l'histoire des sports d'hiver, une compétition servait de tremplin à leur propagande."

ARNAUD, P./TERRET, T.: Le rêve blanc. Olympisme et Sports d'Hiver en France: Chamonix 1924, Grenoble 1968. Bordeaux 1993, S. 34.

Die Idee, diese Veranstaltung künftig als Werbung für den Wintertourismus zu nutzen, kam allerdings vom französischen Skiclub (C.A.F.), der fortan die Veranstaltung der alljährlich stattfindenden internationalen Wintersportwochen übernahm (vgl. Punkt 2.4.3).
Innerhalb Frankreichs existierte bis zum Jahr 1924, als im Rahmen der Wintersportwoche von Chamonix der französische Skiverband gegründet wurde, keine übergeordnete, verbandspolitische Institution. Vielmehr wurden die stattfindenen Wettbewerbe von lokalen Veranstaltern organisiert.
International fand bereits vorher eine Organisation verschiedener Verbände statt. Im Jahr 1910 wurde die Gründung des Congrès International de Ski (CIS) vollzogen, der sich länderübergreifend um die Entwicklung des Skisports kümmerte. Weitere 14 Jahre dauerte es, bis man im Rahmen der Internationalen Wintersportwoche von Chamonix die Gründung eines internationalen Skiverbandes erreichte. Am 2. Februar 1924 wurde im Hotel Majestic die Fédération Internationale de Ski (FIS) ins Leben gerufen.

2.3.4   Bobsport

Im Unterschied zu den anderen "olympischen" Wintersportdisziplinen weist der Bobsport eine recht kurze Entstehungsgeschichte auf. Die Entwicklungsgeschichte des Bobsports ist stark mit der des Schlittensports verbunden.

"Le sport de la luge est le plus récent des sports admis aux Jeux d'hiver. Pourtant, il est certainement le plus ancien des sports d'hiver car il est né des diverses transformations subies à travers les siècles par un moyen de locomotion déjà connu dans la préhistoire: le traîneau. [...] Mais il est évident que le traîneau n'a pas uniquement été conçu comme un mode de transport utilitaire: il a aussi servi à glisser pour s'amuser sur les pentes neigeuses. [...] La luge était donc déjà connue au XVIe siècle, mais il faut attendre le XIXe siècle pour voir pratiquer sur les pentes des Alpes suisses des glissades répétées sur un engin semblable aux actuelles luges d'enfants."

DESCHIENS, G.: L'histoire des Jeux Olympiques d'hiver. Morzine 1979, S. 25.

Die ersten Bobs wurden Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts in den Schweizer Alpen gebaut,

"[...] als in erster Linie die Engländer nach einem Fahrzeug suchten, mit dem sie bäuchlings einen Hang schneller hinunterfahren konnten als wie mit einem herkömmlichen Hunde- oder Rodelschlitten."

HAUBER, I.: Wörterbuch der Olympischen Winterspiele Deutsch-Englisch, Englisch-Französisch, mit Erklärungen zur Geschichte, Technik und Ausrüstung der Sportarten. Kassel 1992, S. 87.

Im Jahre 1892 fand in Sankt Moritz dann auch das erste Bobrennen statt. Vier Jahre später, im Jahre 1896, erfolgte die Vereinsgründung des ersten Bobsportvereins in Sankt Moritz.
Ausgehend von der Schweiz entwickelten sich die Bobsportvereine zunächst in Frankreich, Österreich und Rumänien.
Die rasche Entwicklung des Bobsports zu Beginn des 20. Jahrhunderts zog auch viele Vereinsgründungen nach sich, wobei jeder Verein sein eigenes Regelwerk hatte. Die Tatsache, daß der Bobsport erstmals 1924 im Rahmen der Olympischen Winterspiele von Chamonix stattfinden sollte, machte eine Vereinheitlichung des Regelwerks unumgänglich. Dieser Ansicht waren auch die Mitglieder des IOC auf ihrer alljährlichen Tagung, die 1923 in Rom stattfand. So kam es am 23. November 1923 in Paris zur Gründung des Internationalen Dachverbandes des Bob- und Schlittensports, der Fédération Internationale de Bobsleigh et de Tobogganing (F.I.B.T.).

 

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