netSCHOOL SPORT-Geschichte Wintersport

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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

2.4.3   Entstehung und Bedeutung der Wintersportwochen in Chamonix bis 1924

Den Wintersport stärker bekannt zu machen, hatte sich der C.A.F. ab 1907 zum Ziel gesetzt. So veranstaltete er auch ab 1907 regelmäßig sogenannte "semaines internationales de sports d'hiver". Wurde die erste Wintersportwoche noch in Zusammenarbeit von Armee und C.A.F. am Montgenèvre organisiert, so übernahm in den folgenden Jahren der C.A.F. allein die Planungen für dieses alljährliche Ereignis. Neben dem Ziel, den Wintersport publik zu machen, war es dem C.A.F. auch wichtig, durch die Veranstaltung von Wettbewerben und Vorführungen die Öffentlichkeit stärker zu interessieren, um damit den Wintertourismus zu forcieren.

"L'expérience du Montgenèvre sera renouvelée chaque année sous l'égide du C.A.F. qui s'érige en véritable Fédération Française de Sports d'hiver au travers de sa Commission des Sports d'hiver. Ses concours, qui seront les principaux instruments de propagande des sports d'hiver, recouvrent en fait une très grande diversité d'épreuves: le ski de fond et le saut à ski d'origine nordique, le patinage de vitesse et le patinage de figures, le hockey sur glace, le curling, la luge, le tobogan, le bobsleigh et le skeleton."

ARNAUD, P.: Olympisme et sports d'hiver. In: ders.: Le sport moderne en question. Innovation et changements sociaux AFRAPS. Clermont-Ferrand 1990, S. 20.

Während die Nordischen Spiele meist nur alle vier Jahre stattfanden, waren die Internationalen Wintersportwochen ein alljährliches Ereignis, das in verschiedenen Skistationen Frankreichs veranstaltet wurde.
Die folgende Abbildung verdeutlicht, daß die Wintersportwochen überwiegend in Chamonix stattfanden.

Tab. 1: Die Internationalen Wintersportwochen

WintersportwocheJahrOrt
I1907Briançon-Montgenèvre
II1908Chamonix
III1909Morez
IV1910Cauterets
V1911Le Lioran
VI1912Chamonix
VII1913Gerardmer
VIII1914Chamonix
Aufgrund des Ersten Weltkrieges fanden von 1915 bis 1919 keine Wintersportwochen statt
IX1920Chamonix
X1921Chamonix
XI1922Morez
XII1923Super-Bagnères
XIII1924Briançon-Montgenèvre
XIV1925Briançon-Montgenèvre
XV1926Pontarlier
XVI1927Chamonix
XVII1928Chamonix
XVIII1929Luchon Super-Bagnères
Quelle: In Anlehnung an: Arnaud, P./Terret, T.: Le rêve blanc. Olympisme et Sports d'Hiver en France: Chamonix 1924, Grenoble 1968. Bordeaux 1993, S. 38.

"En résumé, le VIe Concours international de Ski fut, pour le Club Alpin Français, un fleuron de plus à la couronne qu'il a voulu dresser à la gloire du noble sport du ski; et ce succès est dû, pour la plus grande part, aux efforts des membres du Comité des Sports d'hiver et du Club des Sports alpins de Chamonix, qui furent pour la Commission des Sports d'Hiver du Club Alpin Français les plus actifs et les plus dévoués des collaborateurs."

LES RÉSULTATS du VIe Concours international de Ski. In: La Montagne 8 (1912) 3, S. 156.

Für die häufige Veranstaltung der Wintersportwoche in Chamonix sprach neben den im Zitat erwähnten organisatorischen Leistungen des Alpinsportclubs auch die gute Eisenbahnverbindung zwischen Paris und Chamonix.
Durch die Teilnahme internationaler Mannschaften gewannen die Wintersportwochen des C.A.F. weiterhin an Renommee. Abgesehen von den internationalen Titelkämpfen, wie Welt- und Europameisterschaften, die im Gegensatz zu den Nordischen Spielen bei den Wintersportwettbewerben in Frankreich nicht durchgeführt wurden, können die französischen Wintersportwochen ohne weiteres als äquivalente Veranstaltungen zu den Nordischen Spielen angesehen werden. Hierfür spricht neben der Ausweitung des Wettkampfprogramms und der Disziplinen vor allem auch die zunehmende Internationalisierung.

Standen zu Beginn der Wintersportwochen in Frankreich hauptsächlich die nordischen Skiwettbewerbe im Mittelpunkt, so fanden mit dem Fortgang der Wettbewerbe auch die Disziplinen Bob- und Schlittensport, Eishockey und Eislaufen Eingang in das Wettkampfprogramm. Eine Entwicklung von der ursprünglichen "Skisportwoche" hin zu einer tatsächlichen "Wintersportwoche" wird hieran deutlich.

 
 
 
 

"La deuxième manifestation officielle des Sports d'Hivers en France a montré l'importance de leur développement, tant par le nombre des participants que par celui des simples spectateurs. Tout a contribué à en assurer le succès: un temps magnifique, de grandes facilités de transport, la participation d'équipes Norvégienne et Suisse."

CONCOURS INTERNATIONAL DE SKI à Chamonix. In: La Montagne 4 (1908) 2, S. 77-78.

2.4.4   Die Wintersportwettbewerbe der Olympischen Spiele von London 1908 und Antwerpen 1920, sowie die geplanten Wettbewerbe der Spiele von Berlin 1916

Der Wintersport, genauer gesagt der Eiskunstlauf, erlangte erstmals mit den Olympischen Spielen der IV. Olympiade 1908 in London einen offiziellen Platz im Wettkampfprogramm. Während die eigentlichen Wettbewerbe im August ausgetragen wurden, waren die sogenannten "Winterspiele", zu denen neben dem Eiskunstlaufen auch Rugby, Fußball, Boxen und Hockey zählten, auf den 28. und 29. Oktober 1908 angesetzt. Die Eiskunstlaufwettbewerbe fanden im Prince's Skating Club Rink, dem Londoner Eispalast, statt. Bei diesem olympischen Winterdebüt fanden sich insgesamt sechs Nationen ein, nämlich die Länder Argentinien (ARG), Großbritannien (GBR), Deutschland (GER), Rußland (RUS), Schweden (SWE) und die Vereinigten Staaten von Amerika (USA), um sich in vier Entscheidungen miteinander zu messen. Es handelte sich bei diesen Entscheidungen um die zusammengefaßte Pflicht und Kür der Herren, die Spezialfiguren der Herren, die Pflicht der Damen und das Paarlaufen.

Tab. 2: Nationenwertung Eiskunstlaufen London 1908

NationGoldSilberBronze
GBR123
SWE111
GER11-
RUS1--
Gesamt444
Quelle: In Anlehnung an: LENNARTZ, K.: Olympische Spiele 1908 in London. Hrsg. vom Carl und Liselott Diem-Archiv, Olympische Forschungsstätte der Deutschen Sporthochschule Köln. Kassel 1999, S. 242.

Besonders der Olympiasieg des deutschen Eiskunstlaufpaares wurde in der deutschen Presse positiv hervorgehoben:

"Auf Deutschland entfallen zwei Siege durch den Schwimmer Bieberstein = Magdeburg und das deutsche Eislaufpaar Frl. Hübler = Burger = München. Von der vollendeten Kunst dieses letztgenannten Paares war alles förmlich hingerissen, die Engländer selbst nannten ihre Leistung die einzig poetische der gesamten Weltspiele."

LENNARTZ, K.: Olympische Spiele 1908 in London. Hrsg. vom Carl und Liselott Diem-Archiv, Olympische Forschungsstätte der Deutschen Sporthochschule Köln. Kassel 1999, S. 246.

Als herausragende Persönlichkeit der damaligen Zeit, und auch der Eiskunstlaufwettbewerbe in London, galt der Schwede Ulrich Salchow. Zwischen 1901 und 1911 gewann er zehnmal den Weltmeistertitel und wurde zwischen 1898 und 1913 neunmal Europameister. Die unbeschreibliche Karriere von Ulrich Salchow, nach dem auch heute noch ein Standardsprung des Wettkampfprogramms benannt ist, wurde durch den Londoner Olympiasieg von 1908 gekrönt. Nachdem er bei den Olympischen Spielen von Antwerpen 1920 den vierten Platz belegt hatte, setzte Salchow seine weitere Tätigkeit für den Eislauf auf Funktionärsebene fort, bekleidete von 1925 bis 1937 das Amt des Präsidenten der ISU und war damit der Nachfolger des Schweden Viktor Balck.

"Alles in allem war diesen ersten olympischen Eissport-Wettkämpfen, die entgegen der Darstellung in verschiedenen Olympiabüchern vollgültige Olympiawettbewerbe waren und auch mit den üblichen Medaillen dotiert wurden, ein großer Erfolg beschieden [...]."

KAMPER, E.: Lexikon der Olympischen Winterspiele. Stuttgart 19642, S. 13-14.

Die Hoffnung, auch künftig Wintersportwettbewerbe in das olympische Programm zu integrieren, wurde bereits bei den Spielen 1912 in Stockholm durch die unter Punkt 2.1.4 bereits aufgeführten Gründe zunichte gemacht.
Für die Olympischen Spiele 1916 in Berlin, die ihren Zuschlag auf der 14. IOC-Session 1912 in Stockholm erhielten, waren Wintersportwettbewerbe im Schwarzwald geplant. Das 18 Sportarten umfassende Wettkampfprogramm sah für den Sommer 1916 dreimal eine Wettkampfwoche und für Februar mehrere Tage für das Eis- und Skilaufen vor.

Vgl. LENNARTZ, K.: Die VI. Olympischen Spiele in Berlin 1916. Hrsg. vom Carl-Diem-Institut, Olympische Forschungsstätte der Deutschen Sporthochschule Köln. Köln 1978, S. 98.

 
Für die Organisation der Wintersportwettbewerbe, die die nordischen Disziplinen Langlauf über 12 km und 50 km, Sprunglauf und Kombination, sowie im Eislaufen Kunstlaufen für Damen, Herren und Paare, Schnellaufen und Eishockey umfaßten, war Carl Diem, der Generalsekretär für die VI. Olympiade, beauftragt worden.
Einen Überblick über die Planung und Hintergründe der Wintersport-Wettkämpfe im Rahmen der Olympischen Spiele 1916 und im Hinblick auf weitere Olympiaden, gibt folgendes Zitat:

"Das Programm der olympischen Spiele 1916 sieht auch Skiwettläufe vor, die im Februar 1916 auf dem Feldberg im Schwarzwald ausgetragen werden sollten. Die Höchstzahl der Teilnehmer jeder Nationen - mindestens sechs Nationen müssen vertreten sein - ist acht. Es sind geplant ein Dauerlauf über 50 km, ein Langlauf über 12 km, ein Sprunglauf und ein zusammengesetzter Lauf (Lang- und Sprunglauf). Da sich aber auf dem Internationalen Skikongreß in Christiana gegen diesen Plan Widerspruch erhoben hat, wird die endgültige Entscheidung erst auf dem Pariser Sportkongreß (13. bis 24. Juni d. J.) fallen. Auf diesem Kongreß sollen nicht nur allgemeine Fragen behandelt werden, wie die Zulassung von Frauen zu den Spielen, die Stiftung von Wanderpreisen u. dgl., sondern es sollen vor allen Dingen die einzelnen Wettbewerbe des olympischen Programmes für immer festgelegt werden.
   Es erscheint daher angebracht, den gesamten Wintersport mit Rodel- und Bobsleighwettbewerben zu gemeinschaftlichen Winterolympiaden zusammenzufassen und im Januar oder Februar 1916 in einem eis- und schneesicheren Gebiet Deutschlands zum Austrag zu bringen."

LENNARTZ, K.: Die VI. Olympischen Spiele in Berlin 1916. Hrsg. vom Carl-Diem-Institut, Olympische Forschungsstätte der Deutschen Sporthochschule Köln. Köln 1978, S. 116.

Letztendlich machte der Erste Weltkrieg die Durchführung dieser Spiele unmöglich und setzte auch der Diskussion um die "Winterolympiaden" vorerst ein Ende.
Aber der Krieg verhinderte nicht nur die Durchführung der VI. Olympischen Spiele, sondern ließ auch die Arbeit des IOC für mehrere Jahre ruhen.
Da Pierre de Coubertin und das IOC erst zu Beginn des Jahres 1919 die Amtsgeschäfte wieder aufnahmen, wurde auch erst auf der 17. IOC-Session vom 5. bis 8. April 1919 in Lausanne,

Ausschlaggebend für die Wahl Lausannes als Sitz des IOC dürfte vor allem die politisch neutrale Position der Schweiz gewesen sein. Bereits 1915 wurde der Sitz des IOC von Paris in die Stadt am Genfer See verlagert. Die 1894 und 1896 gefaßten Beschlüsse, daß der Präsident des IOC immer aus dem Land kommt, in welchem die nächsten Spiele stattfinden sollten, wurden bereits in St. Louis 1904 außer acht gelassen. Trotzdem dürfte wohl auch die Befürchtung, daß die Deutschen einen Anspruch auf den Sitz des IOC erheben könnten, zu der Verlagerung des Sitzes nach Lausanne beigetragen haben.

 
 
 
 
 
dem neuen Sitz des IOC, über die Vergabe der Spiele der VII. Olympiade für das Jahr 1920 beratschlagt. Neben der Wahl Antwerpens zum Austragungsort wurde zugleich auch beschlossen, welche Länder für die Spiele zugelassen werden sollten. Wegen ihrer Beteiligung am Krieg wurden die Mittelmächte Deutschland, Österreich, Ungarn, Bulgarien und die Türkei von den Spielen der VII. Olympiade ausgeschlossen.

Eigentlich waren lediglich die Repräsentanten der oben genannten Länder auf der entscheidenden IOC-Tagung nicht zugegen. Danach mußten diese Länder auch nicht zu den nächsten Spielen eingeladen werden. Dem Ausschluß der Nationen fehlte aufgrund der nicht vorhandenen Satzung des IOC jegliche Legitimation. Der Ausschluß der IOC-Mitglieder aus Österreich, Ungarn, Bulgarien und der Türkei wurde auf der 19. Session in Lausanne im Jahre 1921 wieder aufgehoben. Deutschland blieb auch aufgrund des Versailler Vertrages weiterhin von den olympischen Wettbewerben ausgeschlossen.

 
 
 
 
 
Den eigentlichen Olympischen Spielen von Antwerpen ging eine sogenannte Wintersportwoche voraus, die zunächst für den Zeitraum vom 20. bis 30. April 1920 im Antwerpener Eispalast geplant war. Letztendlich begannen die Wettbewerbe jedoch erst am 24. April, unter anderem bedingt durch die verspätete Ankunft der Amerikaner. Neben Eiskunstlauf stand hier auch ein Eishockeyturnier auf dem Programm. Ermöglicht wurde die Durchführung dieser beiden Wettbewerbe durch den Umbau des Gebäudes von einer Rollschuhbahn in eine Eislaufbahn im Jahre 1919.
Wie schon 1908 herrschte ein reges Interesse seitens der Zuschauer, was teilweise auch das Wettkampfgeschehen aufhielt:

"Ces épreuves de patinage attirèrent tellement de monde que les arbitres durent se frayer un passage à travers le public, de sorte que les programmes connurent de sérieux retards."

RENSON, R.: Prélude des sports d'Hiver en avril. In: La VIIème Olympiade. Anvers 1920. Les Jeux ressucités. Hrsg. vom Comité Olympique et Interfédéral Belge. Brüssel 1995, S.23.

Tab. 3: Nationenwertung Wintersportwettbewerbe Antwerpen 1920

NationGoldSilberBronze
SWE21-
NOR-21
USA-11
CAN1--
FIN1--
TCH--1
GBR--1
Gesamt444

Wurden 1908 in London die Eislaufsportarten noch in vier Wettbewerben ausgetragen, waren es 1920 nur noch drei. Während 1908 noch die Spezialfiguren der Herren mit auf dem Programm standen, gab es in Antwerpen neben dem Paarlaufen nur noch das Eiskunstlaufen der Herren und Damen.

 

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