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Vorüberlegungen zur Darstellung des Arbeitersports im Deutschen Sportmuseum
von Diethelm Blecking

TEIL 3
Arbeitersport im Spannungsfeld von Solidargemeinschaft und Klassenkultur

Auf den Kollaps des Wilhelminischen Reiches als Folge des verlorenen Krieges waren die Arbeitersportler eher unvorbereitet. Die Weimarer Republik erlaubte den ehemaligen "Reichsfeinden" nun die Teilnahme am politischen und kulturellen Leben. Die Arbeitersportbewegung seit 1919 war der Begriff "Sport" auch vom Arbeiter-Turnerbund, jetzt ATSB (Arbeiter- Turn- und Sportbund) akzeptiert - entfaltete sich zu einer veritablen Massenorganisation von ca. 1,2 Millionen Mitgliedern, mit zahlreichen Publikationsorganen, einem Verlag, einer Bundesschule, einer Fahrradfabrik und zahlreichen Hallen, Schwimmbädern und Sportplätzen. Daneben existierten für die Arbeitersportler Unterstützungskassen und Versicherungen bis hin zum Rechtsschutz.

Die Schwierigkeiten bei der Konzeption einer Ausstellung für diesen Zeitraum liegen in der weiteren Differenzierung (neue Sportdisziplinen ergänzten das Spektrum) und in der Tatsache begründet, dass der Arbeitersport jetzt Teil einer weitgefächerten "linken" Massenkultur wurde, ausgestellt in der legendären Kreuzberger Ausstellung "Weimarer Republik", deren über 900 Seiten umfassender Katalog immer noch eine Fundgrube für das Thema darstellt.

Innerhalb einer Museumskonzeption, die eben nicht die Arbeiterkultur zum Schwerpunkt haben kann, besteht das Problem darin, diesen komplizierten Zusammenhang "herunterzurechnen". Wir verweisen deshalb vorsorglich für den differenzierteren politischen und kulturellen Hintergrund auf den obengenannten Katalog und weitere Ausstellungsprojekte, die sich seit Beginn der 80er Jahre mit diesen Zusammenhängen beschäftigt haben. Die hier zusammengefassten Bestände und Erfahrungen sind für die zukünftige, konkrete Inszenierung unverzichtbar.

Die Geschichte der Bewegung wird für die Phase der Weimarer Republik häufig auf der Folie der Auseinandersetzungen zwischen "revolutionären" (sprich kommunistischen) und "reformistischen" (sprich sozialdemokratischen) Arbeitern nachgezeichnet. Wir interessieren uns in der Konsequenz der einleitenden Bemerkungen mehr für das "kulturrevolutionäre Potential" der Arbeitersportbewegung.

Eine chronologische Gliederung ist hier nicht mehr zweckmäßig. Stattdessen bietet sich eine thematisch geordnete Systematik an.

Strukturelement VIII: Die Entwicklung zur Massenbewegung

Zahlen (vgl. mit bürgerlichen Verbänden)
Entwicklung einzelner Arbeitersportverbände
Organisatorischer Aufbau
Die Sozialstruktur der Mitglieder

Zwei Arbeitersportinternationalen:
RSI (Rote Sportinternationale) und SASI (Sozialistische Arbeiter-Sportinternationale)

Wie oben bereits erwähnt, ist in der Weimarer Republik von ca. 1,2 Millionen organisierten Arbeitersportlern auszugehen, der Deutsche Reichsausschuss für Leibesübungen (DRA), also der Konkurrenzverband, brachte es dagegen 1928 auf 6.657.000 Mitglieder, darunter natürlich zahlreiche Arbeiter. Dieses übermächtige Verhältnis zuungunsten des Arbeitersports galt für alle Einzelverbände, bis auf die Radfahrer. Die Arbeitersportbewegung erscheint hier wieder deutlich als Teil der Arbeiterbewegungskultur, ein Problem, das uns noch in einem Exkurs beschäftigen wird.

Auf der Ebene einzelner Städte und Orte wurde versucht, die Aktivitäten der verschiedenen Sport- und Kulturorganisationen in Arbeitersport- und Kulturkartellen zu koordinieren. Ein Blick auf die Sozialstruktur der Mitglieder weist auf einen hohen Anteil von Facharbeitern, Angestellten und Handwerkern insbesondere in leitenden Gremien der Arbeitersportbewegung. Dies war regional unterschiedlich, anscheinend überwogen in den Ruhrgebietsstädten Bergleute, die Ergebnisse decken jedoch den Befund, dass die Solidargemeinschaft facharbeiterlich geprägt war." Verglichen mit ihrem Anteil in der SPD ( 1931: 22% ) waren Frauen im Arbeitersport schwach vertreten.

Tabelle 3: Frauenanteil in den Verbänden der Arbeitersport- und Kulturbewegung

 

weibliche
Mitglieder

Arbeiter-Angler-Bund1,0 %   
Arbeiter-Segler-Bund1,4 %
Arbeiter-Athleten-Bund1,5 %
Arbeiter-Kegler-Bund5,6 %
Arbeiter-Schützen-Bund7,5 %
Arbeiter-Radfahrer-Bund14,1 %
Arbeiter-Turn- u. Sportbund17,0 %
Arbeiter-Samariter-Bund17,7 %
Arbeiter-Abstinenten-Bundca. 25,0 %
Verband Volksgesundheit26,5 %
Arbeiter-Sänger-Bund27,2 %
Naturfreunde34,2 %
Arbeiterwohlfahrtca. 60,0 %

Vergleiche mit dem bürgerlichen Lager zeigen auch auf der Funktionärsebene deutliche Unterschiede zugunsten von Unterschichtsgruppen im Milieu des Arbeitersports.
Im internationalen Bereich waren kommunistische und sozialdemokratische Arbeitersportler in zwei verschiedenen Internationalen organisiert.

Unter den Bedingungen einer parlamentarischen Demokratie und eines differenzierten Organisationsnetzwerkes, das eng verflochten mit anderen Bereichen der sozialdemokratischen Teilkultur war, entwickelten sich in der Zwischenkriegszeit auch Initiativen für einen anderen Sportbetrieb.

Strukturelement IX: Arbeitersport als Alternative

a) Die Theorie

Ernst Krafft, "Vom Kampfrekord zum Massensport", 1925
Paul Franken, "Vom Werden einer neuen Kultur", 1930
Helmut Wagner, "Sport und Arbeitersport", 1931

Schwer "auszustellen", aber eine der bedeutendsten Leistungen im Umkreis der Arbeitersport- und Kulturbewegung, die historisch-soziologischen Entwürfe einer "alternativen" antikapitalistischen und jenseits des bürgerlichen Sportbetriebes anzusiedelnden Körperkultur. Sie entfalteten sich auf der Grundlage einer historisch-materialistischen Kritik des Bestehenden und erreichten ein bemerkenswertes Reflexionsniveau, weil sie der historistischen Betrachtungsweise jetzt ein Strukturmodell gegenüberstellten. Diese Sportkritik von "links" war früh sensibel für die problematischen Aspekte des sich entwickelnden Hochleistungssports. Als Umsetzung ließe sich hier eine Koje vorstellen, in der Zitate der genannten Autoren mit aktuellen Bildern aus der Welt des Sports konfrontiert werden. Das folgende Zitat von Helmut Wagner trifft z.B. mitten in die Diskussion über Kinder im Hochleistungssport:

"Die Mehrzahl der Meisterschaftssportler ist bereits zu einem Zeitpunkt verbraucht, wo die tatsächliche Bestleistung des Körpers erst beginnen sollte. Das größte Übel dieser Rekordzüchtung ist, dass junge leistungsfähige sportliche Kräfte durch ihren eigenen jugendlichen Ehrgeiz und den Ehrgeiz ihrer Trainer und Vereine rücksichtslos umhergehetzt werden, bis die vorzeitig ausgelösten und überspitzten Energien vergeudet sind."

Die Theoretiker des Arbeitersports hielten dem Leistungssportsystem mit seiner Tendenz zur Kommerzialisierung und zur Rekordsucht einen Spiegel vor, der auch heute noch kritische Reflexe hervorbringt. Richtig ist, dass konservative Kulturkritik zu ähnlichen pädagogischen Wertungen kommt, aber nicht abgeleitet aus Kritik am Kapitalismus und nicht eingebunden in Bemühungen um dessen Überwindung: "Arbeitersport ist Arbeiterklassensport, ist Mittel im Befreiungskampf des Proletariats".

Strukturelement IX: Arbeitersport als Alternative

b) Die Praxis

Massensport versus Kampfrekord
Die Lebensreformbewegungen: Naturfreunde und Nacktkörperkultur
Frauen in der Arbeitersportbewegung
Sport und Politik: die Einheit des Lebens

Die Geschichte des organisierten Arbeitersports wird begleitet vom Kampf gegen Rekord und Wettkampf. Dabei befanden sich die Arbeitersportler von Beginn an in einer Defensivposition bzw. auf einem geordneten Rückzug. Ab 1919 wurde bekanntlich aus dem Arbeiter-Turnerbund der Arbeiter-Turn- und Sportbund. Verbal wurden jedoch wettkampfkritische Positionen bis zuletzt bewahrt, während die Jugend und hier insbesondere talentierte Athleten dem Bund den Rücken kehrten. Symptomatisch der Fall von Erwin Seeler, dem begnadeten Mittelstürmer des Hamburger Arbeitersportvereins SC Lorbeer 06, der bei der Arbeiterolympiade in Wien 1931 beim 9:0 gegen Ungarn allein 7 Tore geschossen hatte. Er wurde nach seiner Rückkehr in Hamburg kritisiert, weil begeisterte Zuschauer ihn vom Platz getragen hatten. Seeler wechselte im Februar 1932 mit einem anderen talentierten Spieler seines Vereins zum bürgerlichen SC Victoria. Das sozialdemokratische Blatt Echo rief den beiden Abtrünnigen, den ebenso hilflosen wie verständnislosen Satz nach: "Lorbeer und auch die Bewegung aber weinen Euch keine Träne nach, wir sind eine Massenbewegung und keine Kanonenzuchtanstalt". Seelers Sohn Uwe wurde nach dem Zweiten Weltkrieg einer der Fußballheroen der 60er Jahre.

Kleine Geschichten wie diese zeigen, dass man der Wirklichkeit am besten konkret begegnen kann. Der Kampf gegen den Leistungssport mit seinen Ritualen war ein Kampf gegen Windmühlen. Er weist die puritanische, freudlose und normativ-pädagogische Seite des Arbeitersports auf, die sich auch in detaillierten Hygiene- und Disziplinierungsvorschriften ablesen lässt.

Dabei hatte die Bewegung auf vielen Gebieten Ideen und praktische Erfolge anzubieten, die anderen Organisationen weit voraus waren. So propagierte z.B. der Touristenverein Die Natufreunde mit seinem Slogan des "sozialen Wanderns" jenen Umgang mit den knappen Ressourcen der Natur, der heute im Zeichen der universialen ökologischen Krise mühsam unter dem Etikett des "sanften Tourismus" als gesellschaftliches Lernziel anvisiert wird. Die "Körperkulturschulen" Adolf Kochs, die über den Verband Volksgesundheit dem Arbeitersport angeschlossen waren, verfolgten Konzepte ganzheitlicher Lebensreform für "unterbürgerliche Schichten".

Die Rolle der Frauenin der Arbeitersportbewegung war eine andere als etwa in der Deutschen Turnerschaft, wenn auch Pfister zugestimmt werden muss, "dass sich die emanzipatorischen Absichten des ATSB in der Praxis nicht oder zumindest nicht völlig durchsetzen ließen". Ein Schicksal, das emanzipatorische Entwürfe in der Konfrontation mit Traditionen und gesellschaftlichen Behinderungen sicherlich in der Regel miteinander teilen. Die Verbindung von Arbeit, Freizeit und Politik, war das anvisierte Ziel, das zahlreiche Frauen aus der Arbeitersportbewegung in die "Eiserne Front" und damit in den Kampf gegen den Nationalsozialismus führte.

Die hier angesprochene, über den Sport hinausführende Projektion muss zentral herausgestellt werden. Die bis heute als Organisation existierenden Naturfreunde und auch die Radfahrer der Solidarität, verstehen sich in dieser Tradition. Das Publikum des zukünftigen Museums dürfte gerade hier leicht Anknüpfungspunkte zur eigenen Lebenswelt finden.

Am besten greifen lassen sich im übrigen vergangene soziale Welten von der Wirklichkeit einer Stadt oder einer überschaubaren Organisation her. In diesem Zusammenhang ist die Rezeption gerade von Regionalausstellungen sicherlich eine gute Grundlage für weiterführende Arbeit.

Strukturelement IX: Arbeitersport als Alternative

c) Die Festkultur

Olympiaden (1925, 1931, 1937)
Regionale und kommunale Turn- und Sportfeste

Feste hatten eine besondere Bedeutung in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Hier konnte sich die Kulturbewegung der Arbeiter von den Sängern über Theatergruppen bis zu den Sportlern darstellen. Höhepunkte in der Geschichte der Arbeitersportbewegung waren die Olympiaden (nicht zu verwechseln mit den Olympischen Spielen!) von Frankfurt 1925 und Wien 1931, während die Antwerpener Olympiade 1937 nach der Zerschlagung des deutschen Arbeitersports bereits im Schatten des Dritten Reiches stattfand. Neben den Wettkämpfen wurde in Frankfurt die Gegnerschaft zum "imperialistischen Krieg" beschworen. In Wien, vor dem Hintergrund des aufziehenden Faschisnus und unter der Ägide des militanteren österreichischen Arbeitersports gehörte auch Wehrsport zum Programm.

In Deutschland fanden während der Weimarer Republik zahlreiche Arbeitersportfeste auf Reichs-, Regional- und Kommunalebene statt. Der Bewegungschor, Massensprechchöre und Weihespiele mit zahlreichen Teilnehmern gelten als Charakteristika dieser Veranstaltungen, obwohl Entsprechungen bei völkischen Gruppen und bei den Festen der slawischen Sokolturner bestanden.

Hier bietet sich beim Arbeitersport ein reiches Bildmaterial für Ausstellungszwecke. Die erhaltenen Filmfragmente aus der Weimarer Republik sollten in eine dokumentarische Rekonstruktion der Festkultur des Arbeitersports einbezogen werden.

Strukturelement X: Spaltung, Zerschlagung und Widerstand

Reformisten und Revolutionäre
Arbeitersport und "Machtergreifung"
Anpassung, Widerstand, Emigration

Über die Spaltung der Arbeitersportbewegung im Jahre 1928 ist bereits an vielen Orten heftig gestritten worden. Die kommunistische Minderheit wurde aus den Verbänden ausgeschlossen bzw. trat aus und organisierte sich in der Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit (KG). Der Spaltung lag auf der einen Seite der Prozess der Bolschewisierung der KPD in den zwanziger Jahren zugrunde, der die Partei zum Erfüllungsgehilfen der Außenpolitik der Sowjetunion machte und sie am Ende auf den Konfrontationskurs gegen die SPD als "Zwillingsbruder des Faschismus" zwang. Auf der anderen Seite stand die Tolerierungspolitik, der Legalismus und die politische Passivität der SPD, die ihr Heil in der Trennung von den Kommunisten in den Massenorganisationen suchte. Eine Politik, die auch die ersten Wochen und Monate nach der "Machtergreifung" bestimmte und Anpassungstendenzen Vorschub leistete. Das Szenarium von Anpassung, Widerstand, Emigration ist bereits vielfältig beschrieben worden.
Wir verdeutlichen die Zusammenhänge an drei exemplarischen Biographien.

Strukturelement XI: Drei Biographien

Cornelius Gellert (1881 - 1944)
Ernst Grube (1896 - 1945)
Karl Bühren (1888 - ?)

Der ehemalige Schreinergeselle und spätere Reichstagsabgeordnete Cornelius Gellert führte den ATSB von 1919 bis 19331927 - 1933 war er Präsident der Sozialistischen Arbeiter-Sportinternationale (SASI). Unter dem NS-Regime wurde er im Konzentrationslager Oranienburg inhaftiert und starb nach seiner Entlassung 1944 bei einem Bombenangriff in Kassel. Er war der Prototyp eines Funktionärs der "Solidargemeinschaft" und treibende Kraft beim Ausschluss der Kommunisten aus dem Bund.

Ernst Grube, ebenfalls Reichstagsabgeordneter, Mitglied der kommunistischen Fraktion und Leiter der "Kampfgemeinschaft" wurde schon in der Nacht des Reichtagsbrandes verhaftet. Er starb am 12. April 1945 im Konzentrationslager Bergen-Belsen. Grube steht für die andere Seite des proletarischen Spektrums. Er exekutierte die katastrophale Politik der Kommunistischen Internationale im deutschen Arbeitersport und war deshalb der natürliche Gegenspieler Gellerts. Dass beide Männer in Konzentrationslagern der Nazis landeten, verdeutlicht das Scheitern der Arbeiterbewegung und damit des Arbeitersports am Ende der Weimarer Republik.

Anders lag der Fall bei Karl Bühren. Der Theoretiker des Turnens, technischer Leiter der SASI und Dozent an der Leipziger Bundesschule des ATSB, emigrierte schon 1933 in die Tschechoslowakei und rief von dort zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus auf. Aus Enttäuschung über die mangelnde Fähigkeit der beiden Arbeitersportinternationalen im Kampf gegen den Faschismus zu kooperieren, legte er seine Ämter in der SASI nieder und ging nach Moskau, wo er als Sportlehrer tätig war. Zusammen mit seinem Sohn wurde er im Rahmen der stalinschen "Säuberungen" verhaftet und vermutlich "liquidiert".

Das Beispiel Bührens beschreibt die geradezu tragische Situation des Arbeitersports nach dem Sieg der Nationalsozialisten in Deutschland. Eingeklemmt zwischen Faschismus und Stalinismus gab es kaum noch vernünftige Handlungsoptionen. Trotz der Beispiele, die Arbeitersportler im Widerstand setzten, markiert deshalb das Jahr 1933 das Ende der traditionellen Arbeiterbewegung und ihrer Kulturorganisationen in Deutschland.

 
Exkurs 1: Die Wilden

Die sozialdemokratisch dominierte Massenorganisation der Arbeitersportbewegung auf der einen, bürgerliche DT und bürgerliche Sportverbände auf der anderen Seite.

Diese geradezu "heile" Organisationswelt stellt bei näherem Hinsehen im Grund nur ein Konstrukt dar. Die Vorstellung einer durchorganisierten sozialen Welt im Sport sollte unbedingt relativiert werden durch einen Blick auf Vereine, die zu den bürgerlichen Verbänden keinen Zugang hatten, weil sie dem Bergarbeitermilieu angehörten, die sich aber den sozialen Disziplinierungsmustern des Arbeitersports verweigerten. Diese sogenannten "wilden Vereine" verweisen auf einen Teil der Alltagskultur der Arbeiterschaft, der sich jenseits der Großorganisationen erstreckte. In Preußens "Wildem Westen" entzogen sich zahlreiche Arbeitersportler mit Preisturnen und Trinkritualen allen sozialdemokratischen Besserungsbemühungen. Sie stellten ein anarchistisch-proletarisches Potential im Sport dar, das bisher durch das Raster der Sportgeschichte gefallen zu sein scheint.

 

Exkurs II: "Bürgerliche" Arbeitersportvereine

Bereits mehrfach ist daraufhingewiesen worden, dass die Mehrheit der Arbeiter in den bürgerlichen Turn- oder Sportvereinen organisiert war. Es existierten unter diesen Klubs viele, die dem Arbeitermilieu entstammten und dieses auch nicht leugneten. Ein bekanntes Beispiel war der "Polacken- und Proletenklub" FC Schalke 04, Mitglied des Westdeutschen Spielverbandes und damit des Deutschen Fußballbundes (DFB). An seinem Fall wird deutlich, dass auch die Geschichte eines " 'bürgerlichen' Arbeitervereins imponierende Zeugnisse der Kameradschaftlichkeit und Solidarität, der Treue zum Verein und der Verbundenheit auch weiterer Bevölkerungskreise mit seinem Geschick aufzuweisen vermag".

 

Exkurs III: Hygieniker und Proletkultisten

Die Beschäftigung mit einer sozialistisch orientierten Sportbewegung lenkt den Blick auf die Entwicklung des Sports im ersten unter diesem Vorzeichen organisierten Staat der Erde, der Sowjetunion. Die zwanziger Jahre waren hier eher von Skepsis gegenüber dem Leistungssport gekennzeichnet und Experimenten wie der Hygiene- und der Proletkultbewegung gewidmet. Erst der sowjetische Weg zur Industrialisierung durch Kollektivierung und Forcierung der Schwerindustrie im Zeichen des Stalinismus öffnete den Weg zum Leistungssport. Das sowjetische Beispiel eignet sich als Lernfeld für die Prägekraft von übergreifenden gesellschaftlichen Prozessen für Verhaltensnormen und soziale Konfigurationen wie den Sport.

 

  Einleitung (1)
  Zwischen Konflikt und Integration: Die Arbeitersportbewegung im Kaiserreich (2)
  Arbeitersport im Spannungsfeld von Solidargemeinschaft und Massenkultur (3)
  Die Gegenwart des Arbeitersports (4)

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