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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

6.3.2   Eiskunstlauf

Der Eiskunstlauf fand in Chamonix- nach den Olympischen Spielen von London 1908 und Antwerpen 1920 - bereits zum dritten Mal statt, dieses Mal jedoch nicht im Rahmen von Olympischen Sommerspielen, sondern während der ersten Internationalen Wintersportwoche. Die Disziplinen in Chamonix waren die gleichen wie bei den vorangegangenen Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften, nämlich Damen (Pflicht und Kür), Herren (Pflicht und Kür) und Paare (Kür). In allen drei Disziplinen gab es allerdings jeweils nur einen Sieger. Die Wettbewerbe, die ebenfalls im großen Eisstadion auf den Flächen links und rechts von dem in der Mitte gelegenen Eishockeyfeld stattfanden, wurden vom 28. Januar bis zum 31. Januar 1924 durchgeführt (vgl. hierzu Abb. 7).
Die Pflichtwettbewerbe, bei denen die Damen und Herren sechs vorgegebene Figuren zeigen mußten, fanden ohne musikalische Begleitung statt.
Für die Kürwettbewerbe stand den Damen und Herren, wie auch den Paaren, ein Orchester zur Verfügung, welches die Musik zur Untermalung der Vorführungen live im Stadion spielte.
Allerdings konnte diese musikalische Begleitung nicht bei allen Wettbewerben gewährleistet werden, was dazu führte, daß die Herren ihren Kürwettbewerb am 30. Januar ohne Musik durchführen mußten.

"Les acteurs s'étaient présentés sur la scène de glace sans musique, car l'orchestre ne pouvait se faire entendre."

LE TOURNOI OLYMPIQUE des sports d'hiver. Le Norvégien Thorlief Haug enlève brillament la course de ski de grand fond devant trois de ses compatriotes. In: L'Auto 31.01.1924, S. 1.

Die Darbietungen der Atleten wurden von insgesamt sieben Kampfrichtern verschiedener Nationalität bewertet.
Die Notengebung der Juroren war für die anwesenden Zuschauer teilweise nur sehr schwierig nachzuvollziehen. Das lag sicherlich auch daran, daß die Wertungsrichter aufgrund der Stadionkonstruktion mit der zwischengelagerten Langlaufpiste sehr weit weg von der Eisfläche saßen und somit nur schwer die einzelnen Übungen der Eiskunstläufer/innen verfolgen konnten.

"Il est impossible de donner des appréciations précises sur les concours de figures imposés. Seuls, les juges qui entourent les concurrents peuvent voir si les figures sont bien superposées. Il ne suffit pas, en effet, pour le patineur de bien exécuter la figure, il doit la répéter plusieurs fois exactement sur le même tracé laissé sur la glace par le patin, et c'est en cela que consiste la plus grande difficulté."

AUTOUR DES JEUX OLYMPIQUES. Les Jeux de Chamonix. In: L'Auto 29.01.1924, S. 3.

Großer Beliebtheit erfreute sich der Wettbewerb der Paare am 31. Januar. Die anwesenden Zuschauer waren begeistert.

"Le concours de figures par couples nous a présenté le plus beau spectacle sportif que l'on puisse imaginer. Une fois de plus, il faut regretter que le merveilleux stade d'hiver n'ait pas été rempli par des milliers de spectateurs pour acclamer les neuf couples qui, pendant plus d'une heure, ont charmé l'assistance par la beauté de leur programme, l'élégance des attitudes et la science du patinage."

LE TOURNOI OLYMPIQUE de Chamonix. In: L'Auto 01.02.1924, S. 4.

Wie bereits weiter oben erwähnt, war es für die Zuschauer sehr häufig schwierig, ihre subjektive Meinung mit der geforderten objektiven Bewertung der Kampfrichter in Einklang zu bringen.
Gerade bei der graziösen und mitreißenden Paarkonkurrenz fiel es den Zuschauern besonders schwer, die Notengebung nachzuvollziehen.

"Les deux premiers couples, Autriche et Finlande, ont été dignes de leur grande réputation. Si l'on avait consulté le public, qui ne tient compte que de l'effet produit, de la beauté des attitudes, sans s'occuper de la difficulté du programme, le couple Jacobson eût été classé premier. Pour la même raison, le couple Canadien, avec la délicieuse petite patineuse, Miss Eustice Smith, eût été classé par les spectateurs en bien meilleur rang."

LE TOURNOI OLYMPIQUE de Chamonix. In: L'Auto 01.02.1924, S. 4.

Tab. 14:   Sieger Eiskunstlauf Damen
1.Szabó-Plank, H.AUT7 Punkte
2.Loughran, B.-S.USA14 Punkte
3.Muckelt, E.GBR26 Punkte
 
Tab. 15:   Sieger Eiskunstlauf Herren
1.Grafström, G.SWE10 Punkte
2.Böckl, W.AUT13 Punkte
3.Gautschi, G. H.SUI23 Punkte
 
Tab. 16:   Sieger Eiskunstlauf Paare
1.Engelmann/BergerAUT9 Punkte
2.Jakobsson/JakobssonFIN18,5 Punkte
3.Joly/BrunetFRA22 Punkte

Die Zahl der anwesenden Besucher während der vier Tage dauernden Eiskunstlaufwettbewerbe läßt sich nicht exakt quantifizieren, da lediglich Zuschauerzahlen für das komplette Eisstadion vorliegen, in dem zeitgleich zu den Wettbewerben beim Eiskunstlauf Eishockeyspiele und Curlingbegegnungen stattfanden. Die in der nachfolgenden Tabelle angegebenen Besucherzahlen beziehen sich also auf die kompletten Tage, ohne eine Differenzierung für die einzelnen Sportarten bzw. Disziplinen zu leisten.

Tab. 17: Übersicht über die Besucherzahlen der Eiskunstlaufwettbewerbe

VeranstaltungstagAnzahl der Zuschauer
28. Januar 1924Vormittag1.176
29. Januar 1924Vormittag1.307
29. Januar 1924Nachmittag1.638
30. Januar 1924Nachmittag1.414
31. Januar 1924Nachmittag1.532
Quelle: In Anlehung an: COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS (Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924. Rapport Officiel. Paris 1924, S. 665.

Die nachfolgende Abbildung zeigt die Rückseite einer Eintrittskarte, auf der die unterschiedlichen Platzkategorien im Rahmen der einzelnen Wettbewerbe aufgezeigt sind.

Abb. 20:   Eintrittskartenrückseite

Quelle: COMITÉ OLYMPIQUE FRANÇAIS
(Hrsg.): Les Jeux de la VIIIe Olympiade Paris 1924.
Rapport Officiel. Paris 1924, S. 667.

Die hier dargestellten vier Platzkategorien wurden als Tages- bzw. Halbtagestickets angeboten. Die teuerste Kategorie war die "Pesage réservé", mit 30 Francs für einen halben und 50 Francs für einen ganzen Tag. Die "Pesage" kostete für einen halben Tag 25 und für den ganzen Tag 40 Francs. Die beiden unteren Kategorien A und B kosteten 15 bzw. 5 Francs für einen halben Tag, für eine Ganztageskarte mußten 25 bzw. 7,50 Francs bezahlt werden.
Eine Wochendauerkarte, die für die Kategorien "Pesage réservé", "Pesage" und "Enceinte A" zu erwerben war, mußten 400, 300 bzw. 200 Francs ausgegeben werden.

Vgl. hierzu: AUTOUR DES JEUX OLYMPIQUES. La location des places pour Chamonix. In: L'Auto 01.01.1924, S. 8.

 
 

6.3.2.1   Herausragende Athletin - Sonja Henie

"During the 1924 winter Olympic Games at Chamonix, the appearance of a child of eleven years old in the ladies' competition created a sensation. This plumpish faire-haired little girl attired in a dress that did not reach the knee, was making her début in international competition. Her unlimited confidence in herself seemed inspired by an extraordinary belief in the movements she was doing."

BROWN, N.: Ice-skating. A history. London 1959, S. 161.

 

Abb. 21:   Sonja Henie
Sonja Henie

Quelle: DOBROVODSKÝ, V.: Zimní olympijské hry v obrazech. Od Chamonix 1924 ke Calgary 1988. Prag 1988, S. 29.

Die 11 jährige Norwegerin Sonja Henie war die jüngste Athletin, die bei der Internationalen Wintersportwoche in Chamonix im Eiskunstlaufwettbewerb der Damen antrat. Ohne Chancen auf einen Titel belegte sie im Eiskunstlaufen lediglich den achten und damit letzten Platz.
Trotzdem wurde die junge Norwegerin, mit Sicherheit auch aufgrund ihres Alters, zu einem der Publikumslieblinge der ersten Internationalen Wintersportwoche. Einen großen Erfolg erzielte sie bei der Weltmeisterschaft im Jahre 1927, wo sie zum ersten Mal Weltmeisterin wurde. Zehnmal in Folge wurde sie Weltmeisterin (1927-1936). Neben sechs Europameistertiteln (1931-1936) wurde ihre Aktivenzeit von drei olympischen Goldmedaillen gekrönt, die sie 1928 in Sankt Moritz, 1932 in Lake Placid und 1936 in Garmisch-Partenkirchen gewann.
Im Jahre 1936 wechselte sie in das Profilager und machte Karriere als Hollywood-Star. In der Folge wirkte sie auch in insgesamt 13 Hollywoodfilmen mit, bis 1956 war sie Chefin der Hollywood Ice Revue.
Aus heutiger Sicht hat Sonja Henie erheblich zur Popularität des Eiskunstlaufens beigetragen.
 

6.3.2.2   Herausragender Athlet - Gillis Grafström

"La présentation de l'Autrichienne von Szabo-Plank et du Suédois Gillis Grafström dépassa de loin tout ce qui avait été réussi auparavant dans ce domaine."

ERB,F.: Chamonix 1924. In: Lang, S. (Hrsg.): Le ski et les sports d'hiver. Encyclopédie Universelle des sports. Bd. 1. Monaco 1960, S. 36.

Wurde der Eiskunstlaufwettbewerb der Damen von der Österreicherin Herma von Szabó-Plank dominiert, bildete der Schwede Gillis Grafström das entsprechende Pendant der Herrenklasse.
Der Weltmeister der Jahre 1921,1922 und 1924, der häufig auch als würdiger Nachfolger des ersten Olympiasiegers im Eiskunstlauf, Ulrich Salchow, bezeichnet wurde, gewann 1920, 1924 und 1928 die Goldmedaille bei den jeweilgen Olympischen Spielen und prägte somit fast ein Jahrzehnt lang die Eiskunstlaufgeschichte der Herren.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003