netSCHOOL SPORT-Geschichte Wintersport

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Stefanie Arlt: "Von den Nordischen Spielen über die olympischen Wintersportwettbewerbe (1908 - 1920) zu den ersten Olympischen Winterspielen in Chamonix. Ein Beitrag zur Frühgeschichte des olympischen Wintersports unter besonderer Berücksichtigung französischsprachiger Quellen" (Auszüge)

4.2   Vertrag zwischen dem COF und der Gemeinde Chamonix

Der Vertrag stellte nicht nur Verpflichtungen an die Gemeinde Chamonix, sondern auch an das COF. Damit verpflichtete sich zuerst Genannte, die nötigen sportlichen Einrichtungen zu errichten und diese dem COF spätestens am 1. November 1923 vorzuführen und für die Dauer der Wintersportwoche zur Verfügung zu stellen. Im einzelnen verlangte das COF folgende Wettkampfstätten:

Außerdem hatte sich die Gemeinde Chamonix um die für die Ausrichtung der Eishockeywettbewerbe erfolderlichen Materialien zur kümmern.
Des weiteren verpflichtete sie sich, die Anlagen in den folgenden 30 Jahren zu unterhalten. Verantwortlich war Chamonix für die Unterbringung, den Transport zu den Sportstätten und die Verpflegung der Sportler, deren Begleiter und auch der Offiziellen.
Im Gegenzug verpflichtete sich das COF dazu, der Gemeinde Chamonix 40 Prozent der Bruttoeinnahmen aus der Internationalen Wintersportwoche, mindestens aber 500 000 Francs, zu zahlen.
Sollte die Veranstaltung aus irgendwelchen Beschlüssen seitens des IOC oder durch höhere Gewalt ausfallen, wäre das COF jeder eingegangen Verpflichtung entbunden.

 
4.3   Zusammenfassung von Punkt 4

Auf der IOC-Tagung von Lausanne im Jahre 1921 bekam Frankreich als das Ausrichterland der Spiele der VIII. Olympiade die Möglichkeit zugebilligt, eine Internationale Wintersportwoche unter dem Patronat des IOC zu veranstalten. Während der Bericht der oben genannten Tagung für die Veranstaltung dieser Internationalen Wintersportwoche bereits Chamonix als Ausrichtungsort angibt, wurde die offizielle Vergabe erst auf dem Pariser Sportkongreß im kommenden Jahr beschlossen. Hier konnte sich Chamonix unter all den eingegangenen Bewerbungen französischer Wintersportstationen als diejenige herausstellen, die den Anforderungen des COF am meisten entsprach. Neben der Anbindung an das Schienennetz dürften auch die günstige geographische Lage wie die zahlreichen Unterbringungsmöglichkeiten den Auschlag für den Ort am Fuße des Mont-Blanc gegeben haben.
Für den französischen Wintersportort bedeutete die Ausrichtung einer solchen Veranstaltung zugleich, sich auf internationaler Ebene einen Ruf zu schaffen. Durch die Vertragsunterzeichnung vom 20. Februar 1923 zwischen dem COF und dem Bürgermeister Jean Lavaivre war Chamonix die Ausrichtung der "semaine internationale des sports d'hiver" schriftlich zugesagt worden. Die in diesem Vertrag geschlossenen Vereinbarungen stellten Verpflichtungen an beide Vertragspartner. Der französische Wintersportort verpflichtete sich, innerhalb weniger Monate die erforderlichen sportlichen Einrichtungen wie beispielsweise ein Eisstadion, eine Skisprungschanze und eine Bobbahn zu erbauen und diese dem COF für die Dauer der Wintersportwoche zur freien Verfügung zu stellen. Umgekehrt sicherte das COF, als Ausrichter dieser Internationalen Wintersportwoche, der Gemeinde Chamonix eine gewisse finanzielle Unterstützung zu.
 

 
5   Planung der Internationalen Wintersportwoche 1924 in Chamonix

 

5.2.1   Der "Sponsor" Paris - Lyon - Méditerranée (Bahngesellschaft)

In der damaligen Zeit bereits von einem Sponsor zu sprechen, ist nicht korrekt, denn erst seit Mitte der sechziger Jahre findet Sponsoring - in der Form wie wir es heute kennen - als ein neues Instrument Eingang in die Kommunikationspolitik der Unternehmen.
Trotzdem hatte das Engagement der Bahngesellschaft P.L.M. aus heutiger Sicht den Charakter eines "Sponsorships", wenn man sich auf die nachfolgende Definition bezieht.

"Sponsoring bedeutet die Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle sämtlicher Aktivitäten, die mit der Bereitstellung von Geld, Sachmitteln, Dienstleistungen oder Know-how durch Unternehmen und Institutionen zur Förderung von Personen und/oder Organisationen in den Bereichen Sport, Kultur, Soziales, Umwelt und/oder den Medien verbunden sind, um damit gleichzeitig Ziele der Unternehmenskommunikation zu erreichen."

BRUHN, M.: Sponsoring - Systematische Planung und integrativer Einsatz. Frankfurt/Main 19983, S. 22.

Die Bahngesellschaft P.L.M. unterstützte die Organisatoren mit einer einmaligen finanziellen Zahlung von 20.000 Franc.

LE MERCIER, I.: A l'écoute du musée national du sport. Chamonix 1924: Maquillage d'un univers olympique? In: Education physique et sport (1992) 233, S. 49.

 
Neben dieser finanziellen Zuwendung gab die Gesellschaft den Organisatoren Unterstützung durch die Verbreitung der offiziellen Plakate entlang des Schienennetzes. Als Gegenleistung stand auf sämtlichen Plakaten auch der Name der Bahngesellschaft, was zur Steigerung des Bekanntheitsgrades zu und einem Imagetransfer zwischen der ersten Internationalen Wintersportwoche und der Bahngesellschaft Paris - Lyon - Méditerranée beitrug. Die Erwähnung eines Sponsors auf Olympiaplakaten kann für die olympische Geschichte als einmalig bezeichnet werden.
Bei den von der Bahngesellschaft verbreiteten Plakaten handelte es sich um vier Arbeiten, die von Auguste Matisse, Charles Hallo, Roger Soubie und einer nicht genannten Person (vgl. Abb. 5) entworfen worden waren. Das wohl bekannteste Plakat dürfte jenes von Auguste Matisse sein, welches einen großen Adler mit ausgebreiteten Flügeln zeigt, der seinen Blick auf die Bobsportler oder besser gesagt die "vainqueurs du concours de la VIIIème Olympiade, Chamonix-Mont-Blanc" richtet.

Auguste Matisse
Abb. 2:   Plakat von Auguste Matisse
Quelle: COMITÉ INTERNATIONAL OLYMPIQUE (Hrsg.): L'Olympisme par l'affiche. Lausanne 1983, S. 31.

 

Roger Soubie
Abb. 3:   Plakat von Roger Soubie
Quelle: ARNAUD, P.: Qlympisme et sports d'hiver: les retombées des Jeux Olympiques de Chamonix 1924. In: Revue de Geographie Alpine 79 (1991) 3, S. 16.

 

Charles Hallo
Abb. 4:   Plakat von Charles Hallo
Quelle: COMITÉ INTERNATIONAL OLYMPIQUE (Hrsg.): L'Olympisme par l'affiche. Lausanne 1983, S. 33.

 

Plakat von unbekannt
Abb. 5:   Plakat
Quelle: COMITÉ INTERNATIONAL OLYMPIQUE (Hrsg.): L'Olympisme par l'affiche. Lausanne 1983, S. 33.

Durch die Verbesserung der Zuganbindungen im Vorfeld der Spiele lenkte die Bahngesellschaft P.L.M. noch weitere Aufmerksamkeit auf sich. So setzte sie eigens für die Wintersportwoche in der Zeit vom 10. Januar bis 29. Februar einen "Spezialzug" ein, der dem Reisenden von Paris aus eine direkte Verbindung nach Chamonix bot. Dauerte die Reise von Paris nach Chamonix gut 15 Stunden mit dem Zug, war man von Lyon und Genf lediglich sieben bzw. drei Stunden unterwegs.
Die nach Chamonix reisenden Sportler erhielten auf ihre Fahrkarten noch besondere Vergünstigungen.
Insgesamt war die Unterstützung der Spiele durch die Bahngesellschaft sicherlich im Interesse aller Beteiligten.

"[...] la Compagnie P.L.M: toujours disposé à favoriser, dans un intérêt national, les initiatives ayant pour but de développer le tourisme en France."

CUËNOT, H.: Les Jeux d'hiver à Chamonix. In: La Montagne 20 (1924) 171, S. 100.

Beschränkte sich der Tourismus zu jener Zeit noch weitgehend auf den Sommertourismus an der Côte d'Azur, so dürfte spätestens jetzt - nicht zuletzt durch die Unterstützung der P.L.M. - auch der Wintertourismus an Anreiz hinzugewonnen haben.

 
5.6   Zusammenfassung von Punkt 5

An die Vertragsunterzeichnung vom 20. Februar 1923 schloß sich die Organisation der Wintersportwoche an. Dem Generalsekretar, Frantz Reichel, stand insgesamt ein Organisationsstab von ungefähr 20 Leuten zur Seite, welcher sich aus Vertretern des C.A.F., der Wintersportkommission und des Sportkommissariates zusammensetzte. Während ihre Arbeit erst wenige Wochen vor Beginn der Wintersportwoche sichtbar wurde, hatte die Gemeinde Chamonix vor allem die Planung und Konstruktion verschiedener Sportstätten zu bewerkstelligen. Der relativ späte Baubeginn am 31. Mai 1923 erforderte einen ausgeklügelten Vorgehensplan. Neben dem Eisstadion mußten eine Bobbahn, eine Sprungschanze und Pisten für die Skilanglaufwettbewerbe angelegt werden, die zu Beginn des Monats November an das COF übergeben werden sollten. Einfache Hilfsmittel und zahlreiche Geländeprobleme machten schon früh zusätzliche Nachtarbeit erforderlich. Doch trotz der Vorbereitungszeit von nicht mal sechs Monaten konnte die Gemeinde Chamonix dem COF, wenn auch mit knapp einem Monat Verspätung, die Anlagen ordnungsgemäß übergeben.
Was die Finanzierung dieser Anlagen wie auch der Wintersportwoche insgesamt anbetraf, so mußte die Gemeinde selbst den Großteil der Kosten aufbringen. Angaben diverser Quellen zufolge hatte der Wintersportort Chamonix selbst 2 Millionen Francs der Kosten zu tragen, während der Staat und das COF lediglich 1,5 Millionen beisteuerten.
Während die einzelnen Sportanlagen konstruiert wurden, vollzog sich die Organisation der Wintersportwoche seitens offizieller Seite aus der Hauptstadt Paris. Erst sechs Wochen vor Beginn der Wettbewerbe zog das Organisationskomitee in den Wintersportort am Fuße des Mont-Blanc. Innerhalb dieser kurzen Zeit mußten neben dem Drucken des Veranstaltungsprogramms die Einrichtung des Telefon- und Telegrafiebüros, die Verteilung der Athleten und Offziellen auf die einzelnen Hotels, wie auch eine Vielzahl anderer Aufgaben erledigt werden. Aus heutiger Sicht wäre eine Sportveranstaltung dieser Art in solch kurzem Zeitraum kaum zu bewerkstelligen.

 

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E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2003