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Entspannung pur
Ohne Entspannung keine Anspannung - das ist eine Binsenweisheit, aber viele vergessen dieses lebensnotwendige Wechselspiel. Anstrengungen, Stress, ob im physischen oder psychischen Bereich, wobei auch das nicht voneinander trennbar ist, fordern Erholungsphasen, wenn sie uns fördern und nicht schaden sollen.
Das Immunsystem reagiert empfindlich auf ein Ungleichgewicht von Anspannung und Entspannung, Sportverletzungen, Krankheiten können die Folgen sein.
Jeder erfahrene Trainer kennt die Gefahr des Übertrainings, wenn Trainingsintensität und -dauer nicht mit entsprechenden Erholungsphasen kombiniert werden. Körper und Seele gehen nur dann gestärkt aus Belastungen hervor, wenn ihnen die Zeit gegeben wird sich ihnen anzupassen, wenn Ruhe und Entspannung mit Belastung sinnvoll abwechseln!
In diesem Zusammenhang spielt auch die Musik eine große Rolle. Sie kann in hervorragender Weise Belastungs- und Entspannungsphasen einleiten und unterstützen!
Dazu der folgende Artikel:

Heilende Harmonien

Musik in der Medizin

Melodien und Rhythmen entspannen Patienten vor Operationen, Sphärenklänge gehen gegen chronische Schmerzen an. Was Musik im Menschen vermag, ergründen Forscher weltweit

Ingrid Leopold schwärmt für Roy Black. Mit seinem Song "Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß" entschlummerte sie auch in die Vollnarkose. Die 45-jährige, die als Lagerarbeiterin Autoersatzteile verpackt, musste wegen eines komplizierten Ellenbogenleidens unters Messer. "Ich war ganz ruhig und habe friedlich vor mich hin geträumt", erzählt Ingrid Leopold hinterher. Wie auf einer Luftmatratze am Strand hätte sie sich gefühlt - trotz Tropf, grünem Kittel, dem kühl gekachelten OP und der Sorge, dass etwas schief gehen könnte.

Ingrid Leopold wurde im Sportkrankenhaus Hellersen operiert. Hier testen Ärzte die Wirkung der vielleicht ältesten Droge der Welt. Sie setzen Musik zu therapeutischen Zwecken ein, um Patienten zum Beispiel für eine Operation vorzubereiten.

In Hellersen fragt man die Patienten vor einem Eingriff deshalb nicht nur nach Krampfadern, früheren Bluttransfusionen, Rauchgewohnheiten oder asthmakranken Verwandten. Dafür interessiert sich jeder Anästhesist in Deutschland, damit die Narkose so reibungslos wie möglich abläuft. Hier fragt man auch: "Wünschen Sie vor dem Eingriff Musik?" 95 Prozent der Patienten sagen Ja. Vom swingenden Dixie über Mozart bis hin zu fetzigem Techno-Sound können sie wählen, welche Musik sie in die Narkose begleiten soll. Am Tag X rieselt die Wunschmelodie dann über Kopfhörer ins Ohr, wenn sie bereits ausgezogen, gewaschen und rasiert in ihren Betten liegen und im schmalen Gang vor der Tür zum Operationssaal angespannt darauf warten, dass ein Pfleger sie hineinschiebt.

Stresshormone im Blut sinken

Sogar im Operationssaal dürfen die Kopfhörer aufbleiben. Die Buchse sitzt dort direkt neben dem Anschluss für die Sauerstoffflasche. Einzig im Aufwachraum ist Musik verboten. Dort könnte wummernder Beat wichtige Signale aus den Überwachungsgeräten übertönen.

Dennoch ersetzen 20 Minuten "Kleine Nachtmusik" keine Tablette Valium. Was den einen beruhigt, regt den anderen auf Wirken kann nur, was gefällt. Aus diesem Grund redete Martin Kniest niemand rein, als er sich für seine Knieoperation den Radetzky-Marsch bestellte. "Ich habe innerlich mitgewippt", erinnert sich der pensionierte Lastwagenfahrer, der einen kleinen Eingriff bei vollem Bewusstsein verfolgte. "Ich würde mir das wieder wünschen."

Das Wunschkonzert im OP ist kein reiner Luxus. Die teure Musikanlage hat sich längst amortisiert. "Wir brauchen bis zu 50 Prozent weniger Beruhigungsmittel vor einem Eingriff", schwärmt Anästhesist und Schmerzarzt Dr. Ralph Spintge. Seiner Erfahrung nach sind die Patienten entspannter und weniger ängstlich. Die im Blut messbare Konzentration an Stresshormonen sinkt. Es treten nachweislich weniger Komplikationen nach der Operation auf. In vielen Fällen verkürzt sich sogar der Krankenhausaufenthalt.

Töne wie Medikamente einsetzen

Aber was genau macht Musik im OP so erfolgreich? Über 100000 Fragebögen mit den Musikwünschen ihrer operierten Patienten haben Dr. Spintge und seine Kollegen ausgewertet. Sie versuchen Standards zu entwickeln, welche Tonfolgen und Tempi zum Beispiel in aufregenden Situationen wie vor einer Operation angstlösend und stressabbauend wirken. Ziel dieser Untersuchung ist es, mit einer nach diesen Vorgaben speziell komponierten Musik noch viel gezielter gegen bestimmte Beschwerden anzugehen.

Das Geheimnis steckt, so vermuten die Experten, im richtigen Groove. "Fast alle Vorgänge im Organismus unterliegen einem bestimmten Rhythmus", erklärt Dr. Spintge, der nebenher als Gastprofessor für Musikforschung an der Universität Texas arbeitet. Biorhythmen steuern Puls- und Atemfrequenz, Herzschlag, Hirnströme sowie den Hormonzyklus. "Körperfunktionen lassen sich auch von außen am nachhaltigsten durch rhythmische Klänge beeinflussen."

Doch nicht alles, was Töne im Menschen bewirken, lässt sich in Zahlen ausdrücken. Musik spiegelt unsere Gefühle und beeinflusst umgekehrt das seelische Befinden. Sie regt an, geht in die Beine, fördert die Konzentration, macht ihn melancholisch oder munter auf, und sie lenkt ab, zum Beispiel auch von Schmerzen. In Hellersen testen Ärzte daher auch bei chronischen Schmerzpatienten die therapeutische Wirkung von Musik.

Den Schmerz vergessen

"Ich fühlte mich endlich wieder frei", erzählt Lothar Kusche von seiner Traumreise an einen stillen See, als ihm Rita Nothacker nach der Therapiestunde die Kopfhörer von den Ohren zieht. Der 51-jährige klagt seit langem über Rückenprobleme. Sein fünfter Lendenwirbel ist total verschlissen. Schmerzen begleiten den Angestellten eigenes Lieferservice Tag und Nacht.

Wenn er aber auf der Liege im schmalen Behandlungszimmer, das Fenster zum Parkplatz, die Augen schließt und sich den Hören hingibt, entflieht er für kurze Zeit seinem sonst allgegenwärtigen Schmerzkorsett.

Wichtig ist auch diesmal, den richtigen Ton für jeden Patienten zu treffen. Zu rhythmusbetont dürfen die Klänge nicht sein. "Durch den Schmerz sitzen die Patienten wie in einem Gefängnis", erläutert Dr. Spintge. "Harte, schnelle Rhythmen empfinden sie wieder wie Gitterstäbe." Menschen, die ständig unter Schmerzen leiden, brauchen seiner Erfahrung nach eher ruhige, fließende Klangbewegungen, um abzuschalten.

Naturklänge, softe Sounds und harmonische Melodien lassen die Gedanken am leichtesten fliegen. Die CD mit Vogelstimmen, Zikaden-Zirpen und dem Murmeln des Baches muss Therapeutin Rita Nothacker besonders häufig einlegen. Auch Smetanas Moldau und das Wiener Neujahrskonzert verlangen viele Patienten, die wegen Bandscheibenvorfällen, Schulterproblemen oder Phantomschmerzen zu ihr kommen.

Noch können Töne schmerz- und entzündungshemmende Medikamente nicht ersetzen. Mit sorgfältig ausgesuchter Musik lassen sich Schmerzen aber besser aushalten, und auch das verbuchen die Hellersener Ärzte als Erfolg.

Lothar Kusche jedenfalls empfindet die halbe Stunde mit dem Kopfhörer "jedesmal wie eine kleine, wunderbare Narkose".
 
 

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Therapie nach Noten

Musik hält heute in immer mehr medizinischen und psychiatrischen Bereichen Einzug. Zwar weiß schon die Bibel, dass David den melancholischen Saul mit Harfenspiel tröstete. Die Musikmedizin, bei der Ärzte zusammen Musiktherapeuten und Psychologen therapeutische Wirkungen mit Klängen hervorrufen, gilt jedoch als noch junge Disziplin.

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Ansätze: Die Patienten musizieren selbst oder sie hören zu. Ziel ist es in jedem Fall, via Musik die Heilungskräfte zu stärken, Krankheiten zu verarbeiten oder Stress abzubauen.

Musik steigert die Schmerztoleranz, wirkt beruhigend, angstlösend und senkt die Muskelspannung: vor Operationen, beim Zahnarzt, zur Behandlung von chronischen Schmerzpatienten oder vor Geburten.

Weil Musik helfen kann, das seelische Befinden zu bessern, wird sie auch bei psychiatrischen und psychosomatischen Leiden sowie zur Begleitung unheilbar Kranker und Sterbender eingesetzt. Über Klänge und Rhythmus-Instrumente suchen viele Musiktherapeuten Zugang zu behinderten und schwer autistischen Kindern, um sie aus ihrer Isolation herauszulocken.

Zukunftsmusik

Vieles befindet sich noch im Teststadium: Weil das Gehirn in der Lage ist, Rhythmen von außen aufzunehmen und extrem schnell in Bewegung umzusetzen, versuchen Ärzte am Zentrum für biomedizinische Musikforschung und Neuro-Rehabilitation an der Colorado State University/USA, Schlaganfall- sowie Parkinsonpatienten damit anzuregen, sich koordiniert zu bewegen.

Der Intensivmediziner Fred Schwartz in Atlanta/USA spielte Frühgeborenen eine "Bauchmusik" (Transitionmusic) mit aufgezeichneten Geräuschen aus dem Mutterleib, gemischt mit Frauenstimmen vor. Das Ergebnis: Die Sauerstoffversorgung besserte sich, die Kleinen schliefen länger und kamen im Schnitt zwei bis drei Tage früher aus dem Brutkasten. Im Uniklinikum Münster musiziert Musiktherapeutin und Psychologin Christine Schwandt am Bett von Komapatienten auf der Geige, um sie schneller aus dem Koma zu holen. Im Rahmen eines Forschungsprojektes am Münchener Klinikum Großhadern untersucht Psychologin Susan Weber den positiven Einfluss von Musik auf Krebspatienten während der Chemotherapie. Amerikanische Musiktherapeuten testen den Einfluss von Musik bei Aids- und Alzheimerkranken.

Aus: Apotheken-Umschau. 1.10.1998, S. 42 ff


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