netSCHOOL MUSIK "Das 3. Ohr"

Joachim-Ernst Berendt, "Das Dritte Ohr"
I N H A L T
  KADENZ ÜBER DAS DENKEN
bewusstes Denken
Kategorie des Horchsamen
       ANA-LOGIK FÜHRT WEITER ALS LOGIK
Harmonikales Denken ist analoges Denken   verschiedenen Ebenen der Realisation   Die Ana-logik gehört zum Ohr   das limbische System   Sprache und Schrift   Symbole der Menschheit   Analoges Denken   Beispiel: die DNA   chinesisches Weisheitsbuch   Analogie zwischen der DNA und dem Buch
 
VARIATION ÜBER DAS SEITENTHEMA
Der hörende Mensch
Ende unserer Existenz
 

  zurück zur MUSIK Titelseite

aus: Joachim-Ernst Berendt, "Das Dritte Ohr", Rowohlt Verlag, Hamburg 1988 (S. 111-115)

 

KADENZ ÜBER DAS DENKEN

In diesem Zusammenhang, notwendig für das Folgende, ein weiterer Einschub: Das Denken ist nicht der bewusste Akt, für den wir es halten. Jeder schöpferische, produktive Mensch hat die Erfahrung gemacht: -Es- denkt. Tage, oft Wochen später, nachdem man einen Gedanken niedergeschrieben hat, realisiert man - aus heiterem Himmel-: Die Deduktion, die du da neulich geschrieben hast, stimmt nicht. Sie war schief. Oder: Du hast etwas vergessen, Oder: Das hättest du besser sagen können. Wir haben uns gerade verliebt, wir fahren Auto, wir schlafen und träumen, wir haben uns inzwischen mit dem betreffenden Problem überhaupt nicht mehr befasst. Was ist es, was da gleichwohl weitergedacht hat?

Unser bewusstes Denken ist nur die Spitze eines Eisbergs. Die Spitze ist wichtig. Wir können sie sehen. Sie ist gewaltig und eindrucksvoll. Aber darunter gibt es andere Kräfte - noch gewaltigere -, die ebenfalls denken. Wir müssen dankbar sein, wenn sie uns benutzen - u n s e r e Eisbergspitze. Wir ver-nehmen, wir empfangen, wir hören da etwas, das zu uns ausgesandt wird. Die Reduktion der Vernunft auf das Klare, Lichte, Durchschaubare (wie die Aufklärung sie betrieben hat) ist eine Simplifizierung - ist genau dies: Reduktion der Vernunft. Das ist der Grund, weshalb wir heute so oft an die Grenzen der Aufklärung stoßen - nicht nur in der Philosophie, auch in der Soziologie, Politik, Psychologie, im täglichen Leben. Wir sollten uns nicht als "anti-aufklärerisch" denunzieren lassen. Wir haben die Aufklärung in uns, wir bewahren sie - und können eben deshalb über sie hinausgehen. Wir m ü s s e n über sie hinausgehen.


SEITENTHEMA: HERAKLIT

Heidegger hat die Kategorie des Horchsamen eingeführt. Man horche diesem Wort nach. Horchen ist ein gesteigertes Hören. Die Silbe 'sam' kommt auch in dem Wort gehorsam, natürlich auch in aufmerksam vor, auch in zusammen (siehe hierzu das Kapitel « Hörworte"). Horchsam also präzisiert: horchend gehorsam, dem Hören ge-hörend und es er-hörend, mit Aufmerk-sam-keit innerlich ge-sam-melt und bei-sam-men sein.

Die Bewegung, die in horchsam steckt, geht nach innen, tiefer noch als beim gewöhnlichen Hören. Ich könnte mir vorstellen, von einem meditierenden Menschen zu sagen, er sei horchsam. Heidegger: -Wir meinen fälschlicherweise, die Betätigung der leiblichen Gehörwerkzeuge sei das eigentliche Hören...- Aber zum - eigentlichen Hören- gehört «gerade dieses, dass der Mensch sich ver-hören kann, indem er das Wesenhafte über-hört... Wir hören nicht, weil wir Ohren haben. Wir haben Ohren und können leiblich mit Ohren ausgerüstet sein, weil wir hören...- jeder hör- und musikempfindliche Mensch hat die Erfahrung gemacht: Wir hören nicht nur mit unseren Ohren; wir hören mit unserem Körper buchstäblich mit jeder Pore und Zelle. Menschen, die von Geburt an taub sind - nie in ihrem Leben mit ihren Ohren hören konnten -, reagieren mit deutlichen Zeichen der Verstörung und messbar höherem Blutdruck, wenn sie eine Zeitlang dem Lärm eines Presslufthammers oder der dröhnenden Musik einer Disco ausgesetzt werden.

Horchsam ist eine Haltung. Pointiert ausgedrückt: Sogar ein Tauber - vielleicht gerade er?- kann horchsam sein.

Heidegger prägt das Wort horchsam in einem Aufsatz über Heraklit, den sagenumwobenen griechischen Philosophen aus dem Ephesus des 5. vorchristlichen Jahrhunderts, dessen Werk nur in einzelnen Aussprüchen, Zitaten und Gedanken überliefert ist. Eines dieser Fragmente - das fünfzigste - lautet:
"Habt ihr nicht mich, sondern den Sinn vernommen,
So ist es weise, im gleichen Sinn zu sagen:
Eins ist alles."
Mit der ihm eigenen Sorgfalt zeigt Heidegger, dass die letzte Zeile dieses Spruches nur dann sinnvoll ist, wenn es der ersten nicht einfach nur auf ein «äußeres Hören» ankommt, sondern: auf das Hören des Seins. Oder - ein Lieblingswort Heraklits- des Logos. Des Ur-Wortes. Und des Ur-Klangs. In der Sprache dieses Buches: des Nada Brahma.

VARIATION ÜBER DAS SEITENTHEMA

Immer wieder ragen in dieses Kapitel - und in dieses Buch und in seinen Vorgänger - die beiden Gedanken:

  1. Hören = Sein.

  2. Alles ist eins.
Beide Gedanken hängen miteinander zusammen: Das Sein ist nur Eines. Der hörende Mensch ver-nimmt dies.

Ich darf zurückgreifen: Wenn wir schlafen, schließen wir Augen und Mund. Das Gefühl stellt sich (fast) ab. Aber: Unsere Ohren bleiben offen.
Ja, unsere Ohren sind geöffnet, noch bevor wir geboren werden. Bereits in dem der Geburt vorausgehenden Stadium ist das Ohr wichtiger als unsere anderen Sinne. Mit ihm beginnt unser Bewusstsein: Bereits wenige Wochen nach der Befruchtung bildet das Embryo Ohren. Das Kind hört im Mutterleib den Herzschlag der Mutter, später die Geräusche der Außenwelt - was doch bedeutet: Ehe der Mensch mit irgendeinem anderen Sinn Welt wahrnehmen kann, nimmt er sie mit dem Ohr wahr.

Entsprechend ist es am anderen Ende unserer Existenz. Die moderne Sterbeforschung hat darauf hingewiesen: Der menschliche Sinn, der in der überwiegenden Anzahl der Fälle zuletzt abgeschaltet wird, ist der Hörsinn. Wenn Seh-, Riech-, Schmeck-, Fühlsinn und Sprechfähigkeit längst -verstummt- sind, hören wir immer noch.

Also: Bevor wir diese Erde betreten -und unser ganzes Leben hindurch, auch dann, wenn in der Stunde des Todes bereits alle anderen Sinne versagen-, hören wir - was doch signalisiert: Mit keinem unserer Sinn sind wir so sehr, wie wir hörend sind! Muss das nicht der eigentliche Grund dafür sein, dass wir unsere Ohren nie und nimmer schließen können, solange wir leben? Weil Hören Sein ist? (S. 96-99)

 

ANA-LOGIK FÜHRT WEITER ALS LOGIK

Harmonikales Denken ist analoges Denken. Wenn ich sage: "Die Welt ist Klang", stelle ich eine Analogie her - zwischen der Welt und dem Klang. Diese Analogie erscheint zunächst noch sehr vage. je mehr ich ihr nachspüre, desto präziser wird sie. Am Ende ist deutlich: Die Welt I S T Klang.

Das Nachspüren kann auf verschiedene Weise erfolgen: 

intellektuell durch präzises Denken -
durch Fühlen -
durch Erleben und Erfahren - durch Meditation.

Analoges Denken fordert diese verschiedenen Ebenen der Realisation. Logisches Denken fordert immer nur eine Ebene - die intellektuelle, es ist eindimensional. Analoges "Denken" ist mehrdimensional; deshalb habe ich eben das Wort Denken in Anführungszeichen gesetzt.

Die Logik gehört zur ratio. Beide lieben gerade Linien. Deshalb sind sie ein Lieblings-Spielfeld des Augenmenschen. Der Geraden haftet etwas Zupackendes und Vereinfachendes an.

Die Ana-logik gehört zum Ohr. Sie bewegt sich - vorsichtig und behutsam - auf Kurven und Spiralen - den Windungen unseres Ohres ähnelnd.

Menschliches Denken begann analog - und noch immer ist analoges -Denken- beweglicher, kreativer, revolutionärer, intuitiver, freier, spontaner, weniger rigide, weniger starr, weniger gewaltsam als logisches Denken.

Der frühe Mensch ersCHLOSS sich die Welt, wie das Baby es tut assoziativ, sich vom Bekannten zu Unbekanntem tastend und bewegend. Er verglich bereits Erforschtes und Bekanntes mit dem, was jeweils an Neuem in seinen Gesichtskreis trat, und er war bei diesem Bilden von Analogien um so kreativer, je überzeugender er das Bekannte dort fand, wo es nicht - oder kaum - zu vermuten war.

Die Wissenschaft nimmt an, dass der frühe Mensch das limbische System seines Gehirns - das sogenannte "Säugetierhirn" - sehr viel stärker benutzt hat als der heutige. Im limbischen System wird der Ursprung der Träume vermutet.

Träumen heißt Verbindungen herstellen zwischen Bekanntem und Unbekanntem. Wir alle wissen, dass wir dabei weite Brücken schlagen - so kühn, dass unser Wachbewusstsein sie oft kaum mehr begehen mag; ja, selbst erfahrene Psychologen haben oft Schwierigkeiten, der Spannweite unserer Traumbrücken zu folgen, will sagen: die Träume zu verstehen und zu deuten (was ohnehin immer nur der Träumende selbst kann, denn die Deutung « stimmt» erst dann, wenn der Träumende mit einern  "Aha!" begreift, was ihm da gesagt werden sollte).

Sprache und Schrift - die größten Leistungen des Menschen sind nicht (wie wir Heutigen wohl meinen würden) logisch, sondern ana-logisch entstanden. Die neue Wissenschaft der Paläolinguistik hat gezeigt: Der frühe Mensch hatte nur ganz wenige Worte. Sie bezeichneten Dinge in seinem unmittelbaren Umkreis - vor allem an seinem eigenen Körper: Brust, Kopf, Vagina, Penis ... Zwischen ihnen und dem ferner Gelegenen stellte er Analogien her zum Beispiel zwischen der weiblichen Brust und einer Bergkuppe, zwischen der aus ihr dringenden Milch und einer Quelle, der Vagina und einer Höhle oder einem Tal oder einem Loch, des Mond-Hofes und dem Umkreis des eigenen Hauses und der Umgebung der eigenen Lagerstätte, des Flusses und dem Schall, den er macht, des Penis und einem Turm (oder dem Mann selbst), der Vagina und einem Gefäß, des Armes und des Astes eines Baumes, des Rückens und einem Bergrücken, der Zunge und einer Landzunge, des Kopfes und einer Kuppe oder einem Kap, der Geburt und des "Loches", durch das hindurch sie geschieht, des Mundes und der Mündung eines Flusses ... Deshalb gehen so viele dieser Worte in so vielen Sprachen auf die gleiche Sprachwurzel zurück. Richard Fester, der große Paläolinguist, hat das bis in Einzelheiten nachgewiesen - in Hunderten von Sprachen aller Kontinente.

Die « Sexualisierung der Sprache», die die Linguisten immer wieder voller Staunen konstatieren, ist analog geschehen. Der sexuelle Mensch ist der Ana-logiker par excellence. Das, was er in der Liebe erfährt, weitet sich ihm - in assoziativem Vergleichen - zum Erfahren der Welt.

Umgekehrt: Logik gefährdet - oft genug: tötet - Sexualität, Erotik, Liebe.

Ähnlich wie die Sprache entstand- Hunderttausende von Jahren später - die Schrift, - zunächst die sumerische, die ägyptische, die chinesische, vorher schon die Keilschriften (in denen - zum Beispiel - das Auge analogisch durch einen Pfeil bezeichnet wird). In der chinesischen Schrift ist immer noch erkennbar: Ein Mund und ein Vogel bedeuten "Gesang", eine Frau in einem Haus "Frieden", Sonne und Mond zusammen sind "Licht".

Analoges Denken hat die großen Symbole der Menschheit geprägt: das Kreuz als Begegnung der aufsteigenden und der waagerechten - der transzendierenden und der konkretisierenden Linien, in deren Mitte - von ihnen zerschnitten, damit Leid erfahrend- der Mensch steht; das Dreieck als Symbol der drei Phasen des Mondes und des weiblichen Geschlechts; der Kreis als Metapher des Alls und der Einheit; der Pfeil als Zeichen der Aggression, der Befruchtung und der Maskulinität; drei Striche als Ausdruck der Trinität (und ebenfalls der Mondphasen); drei Kreuze als Versinnbildlichung gesteigerten Leids und dessen Überwindung in der Dreiheit (die auch Feminität bedeutet) ...

Viele dieser Symbole werden auch heute noch gebraucht, und wenngleich wir sie rational oft nicht mehr verstehen können, so berühren und betreffen sie uns doch immer noch: Sie sind als archetypische -Buchstaben- unserer Seele tief eingeprägt. Der heutige, vorwiegend "logisch" und funktional denkende Mensch ist gar nicht mehr in der Lage, Zeichen von ähnlicher, über die Jahrtausende hinweg wirkender Kraft zu erfinden. Wie wenig symbolfähig er ist, wird an der Bilderschrift offenbar, die - auf Flughäfen und Bahnhöfen, bei internationalen Kongressen oder Olympischen Spielen - angeblich für alle verständlich sein soll.

Analoges Denken ist auch für uns Heutige wichtig, nur möchte der rational denkende Mensch dies nicht wahrhaben. Die größten Erfindungen der Wissenschaft wurden nicht logisch, sondern analog gemacht - von Keplers Planetengesetzen und Newtons Gravitationsverständnis über die Entdeckung der Elektrizität im vergangenen Jahrhundert bis hin zu Max Plancks Quantentheorie. Gleich die allererste Findung, mit der die Geschichte der abendländischen Wissenschaft beginnt, geschah als Analogie: Pythagoras soll an einer Schmiede vorbeigekommen sein, dort hörte er die verschieden langen Eisenstücke in verschiedenen Tonhöhen klingen; von daher kam er zu seinen harmonikalen Entdeckungen und zur Idee der Sphärenharmonie. Ähnlich - fast dreitausend Jahre später- das Bohrsche Atommodell: Niels Bohr fand es im analogen Vergleich zwischen den Verhältnissen im Planetensystern und im Mikrokosmos.

Es ist von hier nur ein kleiner Schritt zur gewaltigsten aller Analogien: der alten esoterischen Weisheit - Wie außen - so innen, und dem Wissen der Mystiker aller Kulturen: Gott ist in dir - du bist Gott.

An dieser Stelle wird deutlich: Jede Analogie steht stellvertretend für jede andere, jede ist in jeder enthalten. Wie zum Beispiel die DNA, der genetische Code, im 1 GING, dem chinesischen Weisheitsbuch. Das I GING ist eines der ältesten Bücher der Menschheit, - vielleicht überhaupt das älteste. Und die DNA ist ebenfalls ein Buch, - das Buch unseres genetischen Erbes. Sie besteht aus vier Basen (Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin), die in Dreiergruppen angeordnet werden, - in 4 hoch 3 = 64 Triplets ( = Dreiergruppen). Man kann sie die -Worte- des DNA-Buches nennen. Die 64 -Worte- benötigen, um -ausgesprochen- werden zu können, 2 x 3 x 64 = 384 -Silben- (wobei die Zahl Zwei den Doppelstrang der DNA und die Drei das Grundmodell des Triplets bezeichnet). Aus 384 Linien (= -Silben") sind aber auch die 64 Hexagramme des I GING gebildet.

Also: Die Zahlen 64 und 384 sind die Grundziffern für beide- das I GING und die DNA. Es ist undenkbar - auch logisch nicht nachvollziehbar-, dass eine solche Gemeinsamkeit -zufällig- entsteht. Sie widerspricht allen zufallsmathematischen Wahrscheinlichkeiten. Das Universum ist noch nicht alt genug dafür. Es gibt aber noch viel mehr Parallelitäten zwischen dem I GING und der DNA. Martin Schönberger hat sie in Dutzenden von Berechnungen, Tabellen und graphischen Darstellungen aufgezeigt.

Menschen hätten nicht Bücher, Worte, Buchstaben und Silben erfinden können, wenn ihre DNA nicht ein -Buch- wäre, das aus "Worten", "Silben", "Buchstaben"  (alle diese Worte werden in der Tat von den Genforschern verwendet) bestünde.

Die Analogie zwischen der DNA und dem Buch ist die vielleicht folgenreichste und kreativste in der Evolution der Menschheit womit auch deutlich wird, dass Analogien zu wirken beginnen können, noch bevor sie bewusst werden. Sie "geschehen" - wie zu Beginn dieses Kapitels gesagt - mehrdimensional: auf den verschiedensten Ebenen menschlicher Erfahrungsmöglichkeiten auf bewussten und unbewussten.

 

 zurück zur
MUSIK Titelseite


E-Mail:   netSCHOOL Redaktion ; 2000