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Europäische Union   [ zurück zu WIRTSCHAFT Titelseite ]
  Überblick

Fortsetzung   IX. Chronik ausgewählter Ereignisse

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Der bisherige NATO-Generalsekretär Javier Solana Madariaga (E) tritt am 18.10.1999 das durch den Vertrag von Amsterdam geschaffene Amt des Hohen Vertreters für die GASP an; am 24.11. übernimmt er auch das Amt des WEU-Generalsekretärs. – Um die EU, die die vorrangige Verantwortung des UN-Sicherheitsrats für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und der Sicherheit anerkennt, in die Lage zu versetzen, autonom Beschlüsse zu fassen und in den Fällen, in denen die NATO als Ganzes nicht einbezogen ist, als Reaktion auf internationale Krisen EU-geführte militärische Operationen einzuleiten und durchzuführen, beschließt der ER in Helsinki (Finnland) am 10. / 11.12.1999, dass die Mitgliedstaaten bis 2003 im Rahmen der freiwilligen Zusammenarbeit in der Lage sein müssen, binnen 60 Tagen Streitkräfte von 50000 bis 60000 Personen, die alle sog. Petersberg-Aufgaben erfüllen können, einzusetzen und diese Kräfte für mindestens ein Jahr im Einsatz zu halten; vereinbart wird u.a. auch die Schaffung neuer politischer und militärischer Gremien und Strukturen beim Rat (Ständiger Politischer und Sicherheitspolitischer Ausschuss, Militärausschuss und Generalstab der EU), die Zusammenarbeit mit der NATO und Drittstaaten sowie die Einrichtung eines Mechanismus für die nicht-militärische Krisenbewältigung. Diese Beschlüsse implizieren nicht die Aufstellung einer europäischen Armee. NATO-Staaten, die keine EU-Mitglieder sind, v.a. die USA, die auch die ihrer Ansicht nach zu geringen Rüstungsausgaben der EU-Staaten kritisieren, haben Vorbehalte gegen den beabsichtigten Aufbau einer Schnellen Eingreiftruppe. Die EU-Außenminister bestimmen am 14.2.2000 die drei Interimsgremien der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik; diese nehmen im März ihre Arbeit auf. Eingesetzt wird auch ein Ausschuss für die nicht-militärischen Aspekte der Krisenbewältigung. Die EU-Staaten haben zugesagt, bis 2003 im Rahmen der freiwilligen Zusammenarbeit bis zu 5000 Polizeibeamte für internationale Missionen in Krisenregionen bereitzustellen (z.B. zur Überwachung von Grenzen, Ausbildung von Polizisten, Wahlbeobachtung, Räumung von Minenfeldern und zum Aufbau von zivilen Institutionen); binnen 30 Tagen sollen mindestens 1000 Polizisten weltweit eingesetzt werden können.

 
Aufbau des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts

Im Mittelpunkt des Sondergipfels des ER in Tampere (Finnland) am 15. / 16.10.1999 steht die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts binnen fünf Jahren. Die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Staaten legen politische Leitlinien und Ziele in den Bereichen fest, die die wesentlichen Elemente dieses Raums bilden werden: gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik (Partnerschaft mit den Herkunftsländern im Rahmen eines globalen Konzepts, gemeinsames europäisches Asylsystem (unter Einhaltung / Wahrung / Achtung der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und anderer internationaler Übereinkommen), das sich auf ein gemeinsames Asylverfahren und einen einheitlichen Status stützt, angemessene Behandlung der Drittstaatsangehörigen, Steuerung der Migrationsströme), europäischer Raum des Rechts (besserer Zugang zum Recht, gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen, größere Konvergenz im Bereich des Zivilrechts) und unionsweite Kriminalitätsbekämpfung (Kriminalitätsverhütung auf Ebene der Union, Intensivierung der Zusammenarbeit bei der Kriminalitätsbekämpfung, Sondermaßnahmen zur Bekämpfung der Geldwäsche, für die Europol die Zuständigkeit erhält; eine zu errichtende Stelle Eurojust, der von den Mitgliedstaaten entsandte Staatsanwälte, Richter oder Polizeibeamte angehören, soll die Koordinierung der nationalen Staatsanwaltschaften erleichtern und die strafrechtlichen Ermittlungen unterstützen). Die Kommission erhält den Auftrag, eine Übersicht (»scoreboard« = Anzeigetafel) auszuarbeiten, mit der die Fortschritte der Union beim Aufbau der Union zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts überprüft werden können. – Nach einer von den EU-Justizministern am 29.5.2000 beschlossenen Verordnung sollen in einem EU-Staat ergangene Scheidungs- und Sorgerechtsurteile ab 1.3.2001 in allen anderen EU-Staaten anerkannt werden. Die Verordnung wird von 14 EU-Staaten getragen; Dänemark wird einen separaten völkerrechtlichen Vertrag abschließen.

 
Sondergipfel zu Wirtschafts- und Beschäftigungsfragen

Bei dem Sondergipfel »Beschäftigung, Wirtschaftsreform und sozialer Zusammenhalt – für ein Europa der Innovation und des Wissens« am 23. / 24.3.2000 in Lissabon (Portugal) setzen die Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Staaten das strategische Ziel, die Union binnen zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen und damit die Voraussetzung für Vollbeschäftigung zu schaffen. Verabschiedet wird ein Maßnahmenkatalog zur Erhöhung von Wettbewerbsfähigkeit, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung, der v.a. auf eine bessere Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und eine beschleunigte Marktliberalisierung abzielt; gefordert wird u.a. die vollständige Liberalisierung des Telekommunikationsmarkts und der Anschluss aller Schulen an das Internet (beides bis Ende 2001) sowie die Schaffung eines Binnenmarkts für Finanzdienstleistungen. Der Versuch, ein konkretes Zieldatum für die Liberalisierung der Energie- und Verkehrsmärkte festzulegen, scheitert am Widerstand Frankreichs. Bis 2010 soll die Zahl der Schulabgänger ohne weiterführende Schul- und Berufsausbildung halbiert und der Anteil der Beschäftigten an der Erwerbsbevölkerung von derzeit 61% auf rund 70%, jener der Frauen von 51% auf über 60% erhöht werden.

 
Misswirtschaft und Betrug in der EU

Der am 10.9.1999 vorgelegte zweite Untersuchungsbericht des mit der Untersuchung von Betrug, Missmanagement und Vetternwirtschaft in der Kommission beauftragten fünfköpfigen Ausschusses unabhängiger Sachverständiger, deren erster Bericht vom 15.3. zum Rücktritt der Kommission unter Jacques Santer geführt hatte, belastet keine einzelnen Personen. Er enthält Empfehlungen zur Verbesserung der Verwaltungsverfahren und der Personalführung; gefordert wird u.a. eine unabhängige Europäische Staatsanwaltschaft zum wirksameren Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft und zur Betrugsbekämpfung. – Der niederländische EU-Beamte Paul van Buitenen, der maßgeblich zur Aufdeckung von Korruption, Betrug und Missmanagement bei der Kommission und zu deren Sturz beigetragen hat, erhält am 4.10. nach Abschluss eines Disziplinarverfahrens eine Abmahnung. Am 12.10. wird er in Brüssel mit dem Europäischen Steuerzahlerpreis ausgezeichnet. – Der EuRH kritisiert in seinem Mitte November vorgelegten Jahresbericht 1998 erneut schwerwiegende Mängel bei Verwaltung und Kontrolle des EU-Haushalts, für die Kommission und Mitgliedstaaten verantwortlich sind. Rund 5% aller Zahlungen seien wegen Verwaltungsfehlern und Betrug fehlerhaft; dies gelte vor allem für Ausgaben in den Bereichen Agrar- und Strukturpolitik. – Im Streit um die Befugnisse des unabhängigen, jedoch bei der Kommission angesiedelten Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) reicht die Kommission am 12.1.2000 bzw. 18.1. beim EuGH Klage gegen EZB und EIB ein, da diese die Zuständigkeit von OLAF nicht anerkennen. Die EZB hatte am 7.10.1999 die Einrichtung eines unabhängigen Ausschusses für Betrugsbekämpfung beschlossen. Das GEI (siehe EuGH ) schränkt am 1.5.2000 mit einer einstweiligen Anordnung die Untersuchungsbefugnisse von OLAF gegenüber dem EP ein, da die vom EP am 18.11.1999 beschlossene Änderung seiner Geschäftsordnung keine Garantie zur Wahrung der Rechte der Parlamentarier enthalte. 71 überwiegend deutsche Abgeordnete hatten am 21.1.2000 beim EuGH Klage eingereicht. Bis zum Erlass eines endgültigen Urteils haben OLAF-Mitarbeiter nur noch mit Zustimmung der EP-Abgeordneten Zugang zu deren Räumen; zudem muss das EP die Abgeordneten über bevorstehende Untersuchungen von OLAF unverzüglich unterrichten. Bernhard Friedemann, Mitglied des EuRH-Präsidiums, spricht sich wiederholt wegen Zweifeln an der Unabhängigkeit von OLAF von der Kommission für dessen Eingliederung in den EuRH aus; zur besseren Betrugsbekämpfung sei langfristig die Einrichtung einer unabhängigen Europäischen Staatsanwaltschaft erforderlich. – Die Kommission hebt am 15.2.2000 auf Antrag der Brüsseler Staatsanwaltschaft die Immunität der früheren französischen Kommissarin Edith Cresson (1 / 1995–9 / 1999) auf. Mit deren Zustimmung wird damit erstmals der Schutz eines früheren Kommissionmitglieds vor juristischer Verfolgung aufgehoben. Gegen Cresson wird u.a. in einer Affäre um Begünstigung eines befreundeten Zahnarzts ermittelt, die zum Rücktritt der Kommission am 16.3.1999 beitrug. – Der EuRH wirft im April 2000 den Fraktionen und der Verwaltung des EP Misswirtschaft und Zweckentfremdung von Haushaltsmitteln vor. – Das EP erteilt am 6.7. der Kommission die Entlastung für den Haushalt 1998, obwohl diese den Forderungen des EP nach Aufarbeitung früherer, z.T. weit zurückliegender Betrugsfälle nur teilweise nachgekommen war. In dem Verfahren um die Haushaltsentlastung spielte die sog. Fléchard-Affäre eine große Rolle. Die französische Handelsfirma Fléchard hatte 1991 subventionierte, für die UdSSR bestimmte irische Butter mit Gewinn nach Polen verkauft; die 1994 wegen Subventionsbetrugs verhängte Strafkaution gegen Flιchard war auf Initiative der Kommission von 17,6 auf 3 Mio. EUR reduziert worden, nach einem Anfang Mai 2000 veröffentlichten Gutachten des EuGH ohne rechtliche Grundlage. Ungeklärt ist noch immer die Frage, inwieweit der für Außenhandel zuständige Kommissar Lamy, der seinerzeit Kabinettschef des damaligen Kommissionspräsidenten Jacques Delors war, in die Affäre verwickelt ist.

 
Konsumentenschutz

Vor dem Hintergrund von Skandalen und Versäumnissen im Nahrungs- und Futtermittelbereich schlägt die Kommission in einem am 12.1.2000 vorgelegten Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit über 80 Maßnahmen vor, mit denen das Vertrauen der Verbraucher in die Qualität der Nahrungsmittel wieder hergestellt werden soll; die gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften müssten nach Anpassungen und Ergänzungen die gesamte Kette der Lebens- und Futtermittelherstellung vom Produzenten über die Verarbeitung bis zum Verbraucher erfassen. Geplant ist auch die Errichtung eines europäischen Amts für Lebensmittelsicherheit, das die potenziellen Gesundheitsrisiken in der gesamten Nahrungsmittelkette bewerten, die Kommission beraten und die Verbraucher informieren soll; im Gegensatz zu der mit weitreichenden verwaltungsrechtlichen Kompetenzen ausgestatteten Food and Drug Administration in den USA wird die neue Behörde vorerst nur sehr eingeschränkte Befugnisse erhalten.
 

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