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Eine neue Schule für alle
 

 

Aus: "Eine Schule für alle Kinder", Länger gemeinsam lernen,
Eine Broschüre des Landeselternrates der Gesamtschulen NRW, 2005, S.24f

Kati Jauhiainen
ist eine finnische Diplompädagogin mit langjährigen Erfahrungen in der Erwachsenenbildung. Seit Pisa I hält sie Vorträge über das finnische Schulsystem und ist Referentin auf Seminaren, Tagungen, Podiumsdiskussionen in Schulen, bei verschiedenen Parteien und Interessengruppen. Seit Februar 2005 arbeitet sie in der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und ist zuständig für die Koordinierung und Betreuung des bundesweiten Programms „Ganztägig lernen“.

Jedes Kind ist etwas Besonderes

von Kati Jauhiainen

In finnischen Schulen werden alle Kinder ab dem siebten Lebensjahr neun Jahre lang in einem heterogenen Klassenverband unterrichtet. Der Unterricht ohne Leistungsdifferenzierung ist eine ständige Herausforderung für die Lehrerinnen und Lehrer sowie für die ganze Organisation der Schule. Die finnischen Schulen sind weder Gesamt- noch Ganztagsschulen, sondern „ganzheitlich lernende Gemeinschaftsschulen“. Die Meinung der obersten Schulbehörden und politischen Parteien teilen auch die meisten Eltern und Lehrerinnen in Finnland: „Wir haben eine Schule für alle Kinder, denn wir brauchen jeden Menschen in unserer Gesellschaft. Wir können es uns nicht leisten, auch nur eine/n Schüler/in auszugrenzen.“

Dieses Schulsystem wird seit 30 Jahren von allen politischen Parteien und gesellschaftlichen Interessengruppen gleichermaßen akzeptiert. Die Erfolge in einigen Zahlen: Im Jahre 2000 haben 83 Prozent der 20- bis 24-Jährigen und 84 Prozent der 25- bis 29-Jährigen einen Abschluss auf dem Niveau der Fachhochschule oder Universität erreicht.
 

Jedes Kind ist etwas Besonderes

Ein Kind geht als ganzer Mensch in die Schule. Werden die persönlichen Eigenarten eines Kindes erkannt und akzeptiert, kann sich das Kind auch beim Lernen freier und kreativer äußern und sein „eigener Lehrmeister“ bzw. seine „eigene Lehrmeisterin“ werden. Das höchste Gebot im Unterricht ist es, ein Kind nie zu beschämen und zugleich die Stärken und Fähigkeiten jedes Einzelnen in einem gemeinsamen Lernprozess zu entdecken und weiter zu entwickeln.

In Finnland stehen die natürlichen Grundbedürfnisse der Kinder obenan. Es gibt nach jeder Unterrichtsstunde 15 Minuten Pause. Die Klassenräume werden gelüftet und die Kinder können sich draußen austoben. Das gemeinsame Mittagessen ist ein Bestandteil des Schulunterrichtes und soll ein Drittel des Tagesbedarfs der gesunden Ernährung decken. Räume sind hier hell, gemütlich und mit modernen technischen Mitteln ausgestattet.

In Finnland gibt es keine Schulpflicht, sondern Unterrichtspflicht. Die Schulen sind gefordert, das Lernen so attraktiv zu gestalten, dass die Eltern normalerweise dazu keine Privatalternative anzubieten brauchen. Die Sonderschulen sind weitgehend aufgelöst. Die Regelschulen sind auch zuständig für Kinder mit Lern- und Entwicklungsstörungen sowie mit geistigen und körperlichen Behinderungen. Jedes Kind wird individuell gefördert. Es gibt Einzel- oder Gruppenunterricht mit Förderlehrern, Sonderpädagogen und Schulassistenten, immer mit dem Ziel, das Kind so bald wie möglich in den allgemeinen Schulbetrieb zu integrieren.

Auch die Gefühle der Kinder, die das Lernen beeinflussen können, werden beachtet. Kinder, die Angst haben, lernen schlechter. In der Pubertät haben Jugendliche oft große Probleme bei der Suche nach der eigenen Identität. In den Gemeinschaftsschulen wird auf die Integration von „Kopf und Hand“ besonders geachtet: Hauswirtschaft, Holz- und Metallarbeit und Nähen gehören zum Wochenplan genauso wie die mehr theoretischen Fächer.

Sorge für das Wohlbefinden der Schüler in der Schulgemeinschaft
Lernerfolge der Kinder in einer Gemeinschaft ohne Leistungsdifferenzierung sind nur möglich, wenn soziale, psychologische und Gesundheitsdienste sowie die Eltern mit den Lehrern zusammenarbeiten. Für das Wohlbefinden der Schüler in der Schulgemeinschaft sorgt das ganze Personal bis hin zu Köchinnen, Reinigungskräften und Hausmeistern. Für die alltägliche Sorge sind zuerst die Klassenlehrer/innen zuständig, die selbstständig entscheiden können, ob kollegiale Beratung ausreicht oder ob sie den Schulsozialdienst (Kurator) Psychologen, die Schulkrankenschwester oder andere Dienste außerhalb der Schule einbeziehen. Die Hauptsache ist, dass bei Störungen und Problemen sofort reagiert wird. Eine Arbeitsgruppe, bestehend aus Schulleitung, Förderlehrer, Schullaufbahnberater, Kurator, Psychologe, Krankenschwester, tagt wöchentlich. Sie bespricht die akuten Fälle und plant weitere Maßnahmen für das Wohlbefinden der Schülerinnen und Schüler.

Wichtig: Selbsteinschätzung
In der ersten Klasse können die Kinder meistens noch nicht richtig schreiben. Und doch lernen sie Fragebögen zu benutzen, in denen sie ihre Leistungen und ihr Wohlbefinden in der Schulgemeinschaft selbst einschätzen. Die Selbsteinschätzung ist für das „Lernen lernen“ wichtigster Bestandteil im finnischen Schul- und Bildungswesen und zugleich eine notwendige Voraussetzung. Ziel der Selbsteinschätzung ist es, das eigene Leistungsniveau realistisch zu betrachten, die eigenen Fähigkeiten zu entdecken und weiter zu entwickeln und zu erfahren, inwieweit die eigene Arbeitsleistung die Ergebnisse beeinflusst. Die Lehrer wählen selbst aus, ob sie Portfolien, Lerntagebücher, Fragebögen, formlose schriftliche Beurteilungen oder mehrere Methoden gleichzeitig benutzen. Die Eltern sind zu den Gesprächen eingeladen, in denen die Selbsteinschätzungen ausgewertet werden.

Evaluation des Schulbetriebs
Die Evaluation findet auf mehreren Ebenen statt. Das gesundheitliche, soziale und psychische Wohlbefinden wird landesweit jedes zweite Jahr geprüft. Lesekompetenz, Mathematik und andere Fächer werden in Stichproben in einzelnen Kommunen und auf der Landesebene kontrolliert. Die Schulen können sich auch freiwillig an den Studien beteiligen, in denen nicht nur die Leistungen der Schüler, sondern auch deren Motivation und die Qualität der Lehre untersucht werden. Viele Schulen melden sich freiwillig und bezahlen die Untersuchung selbst, um zu wissen, auf welchem Niveau sie im Vergleich mit anderen Schulen stehen.

Die finnischen Lehrerinnen und Lehrer verdienen ein Drittel bis die Hälfte weniger als ihre deutschen Kollegen. Trotzdem ist die Arbeitszufriedenheit sehr hoch. Und es gibt viele Lehrerinnen und Lehrer, die von ihrem Beruf begeistert sind. Dies drückt die Haltung eines Rektors in Helsinki aus, der am Anfang des Schuljahres seinen Schülerinnen und Schülern sowie den Mitarbeitern sagte:
„Ich bin ein glücklicher Mensch, weil ich mit Euch wieder ein ganzes Jahr zusammen arbeiten darf.“
 

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